Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
VIII. Buch. Oie katholische Kirche. 63 
  
daß er um fünf Menschenalter hinter der Geschichte zurückgeblieben ist. Wer so redet, 
hat am wenigsten das Recht, über ultramontane Exklusivität sich zu ereifern. Solch törich-- 
ten Träumereien nachhängen heißt die durch unseres Kaisers hochsinnige Bestrebungen 
glücklich aus dem Banne konfessioneller Engherzigkeit auf die Höhe nationalen Emp- 
findens gehobene deutsche Kirchenpolitik wieder auf das alte beklagenswerte Nive#au 
der siebziger, ja der dreißiger Zahre herabdrücken. Dafür wird freilich Wilhelm ll. nie- 
mals zu haben sein, und das ist sein nie genug zu schätzendes Verdienst, das ihm die ewige 
ODankbarkeit nicht nur seiner katholischen, sondern aller gerecht denkenden Untertanen 
sichert. Die Zeit wird zeigen, daß sein Blick ungleich weiter reichte, als der seiner über- 
legensten Kritiker. Härte und Berschlossenheit gegen die Minorität ist eine wohlfeile, 
aber kurzsichtige Politik; dem Schwächeren gerecht zu werden, dazu bedarf es politischer 
Klugbeit und oft persönlicher Entsagung, die sich aber reichlich lohnen. 
II. Das gegenseitige Vertrauen und der Friede zwischen Staat und Kirche schufen 
den Boden, auf dem beide Autoritäten wiederum ihre ganze Kraft entfalten konnten 
und jede ihren eigenen Interessen wie denen der anderen am besten zu dienen ver- 
mochte. In den ersten Zeiten des neuen Reiches war das deutsche Volk in wirt- 
schaftlichen und materiellen Fragen nahezu aufgegangen. Mit der Zeit aber erwachte 
wieder das Verständnis für ideale Bestrebungen und damit auch für Religion und 
kirchliches Leben. 
Zunahme der Katholiken; Die Zahl der Katholiken im Heutschen Reiche ist 
kirchl. 1 gewachsen entsprechend der Gesamtzahl der Bevöl- 
irchl. Organisation kerung, zeitweilig auch weit über das prozentuale Ver- 
hältnis hinaus. Oiese Erscheinung kann verschiedene Ursachen haben; immerhin dürfte sie 
aber dafür sprechen, daß die konfessionelle Minderheit sich im Reiche behaglich fühlt. Die 
kirchliche Organisation war, soweit der Kulturkampf sie zerstört hatte, bereits wieder 
unter Wilhelm I. in den früheren geordneten Zustand gebracht worden, und ist es unter dem 
neuen Kaiser stets geblieben. NReben fünf Kirchenprovinzen (Köln, Gnesen-Posen, München, 
Bamberg, Oberrhein) mit ebensovielen Erzbistümern und vierzehn Suffraganbistümern 
bestehen sechs dem Römischen Stuhl unmittelbar unterstellte (exemte) Bistümer (Breslau, 
Ermeland, Hildesheim, Osnabrück, Straßburg, Metz), ferner drei apostolische Vikariate 
(Nordische Missionen Deutschlands, Sachsen, Anhalt) und zwei apostolische Präfekturen 
(Lausitz, Schleswig-Holstein); außerdem gehören kleine Teile Schlesiens zu den öster- 
reichischen Erzbistümern Prag und Olmütz. Der in und unmittelbar nach dem Kultur- 
kampf vorhandene schreiende Mangel an Priestern ist nahezu gänzlich gehoben, die Seel- 
sorge, namentlich auch in Großstädten, ist so wohl organisiert, daß sie auch in katholischen 
Ländern vergeblich ihresgleichen suchen dürfte, und daß angesichts derselben das päpst- 
liche Lob wohlverdient erscheint. Diese Organisation erstreckt sich auch auf das Militär. 
Das gute Verhältnis der Hierarchie zur Regierung zeigte sich in den zahlreichen Ehrungen, 
die den Bischöfen ihrer Stellung entsprechend zuteil wurden. Der Fürstbischof von Bres- 
lau, Kardinal Kopp, und der Erzbischof von Köln, Kardinal Fischer, bekamen als Mit- 
  
  
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