Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
6s Die katholische Kirche. VIII. Such. 
  
Bewegung in Österreich gewesen. Den Katholiken wird darum nicht nur das Interesse 
für den Frieden des Vaterlandes, sondern auch die Klugheit — um nachher nicht schmerz- 
lich enttäuscht zu sein — verbieten, irgend etwas zu tun, was als „demagogische Auf- 
peitschung der Volksleidenschaften“ bezeichnet werden könnte, um die Wiederzulassung 
der Zesuiten zu erwirken. Man erinnert sich noch der bitteren Worte J. A. Möhlers, der 
seine Glaubensgenossen tadelte, die von den Zesuiten einen neuen Himmel und eine 
neue Erde erwarten, „während sie selbst auf dem Ruhepolster verfaulen“. Auch der 
streng kirchliche Dr. A. Ruland ist in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts 
dem Rufe nach Redemtoristen entgegengetreten mit der Versicherung, der fränkische 
Klerus sei tüchtig genug, um die Lösung der Aufgaben zu übernehmen, die man jenem 
Orden zuweisen wolle, worauf freilich seine geistlichen Mitbrüder ihm sehr beftig wider-- 
sprachen. Allein wenn die heutigen Wortführer der Katholiken nicht wie jene vor zwei 
Menschenaltern im Frankfurter Parlamente der Ansicht sind, man könne, um nicht die 
Akatholiken zu reizen, auf die Zesuiten verzichten; wenn das Volk meint, der Weltklerus 
und die bisher zugelassenen religiösen Orden seien nicht imstande, den gesteigerten An- 
sprüchen der Gegenwart zu genügen; wenn der Klerus selbstlos genug ist, diese In- 
solvenzerklärung zu bestätigen, indem er auch seinerseits nach den Zesuiten verlangt: so 
sollten die Protestanten ihren Gegnern einen so wirksamen Argitationsstoff um so eher 
entziehen, als 1. die Fesuiten tatsächlich doch bereits in zahlreichen Vertretern im Reiche 
tätig und die gegen sie getroffenen Vorsichtsmaßregeln in ihrer Wirkung augenscheinlich 
gleich Null sind; 2. alle Aussicht besteht, daß die nahen, in Konkurrenz mit dem Pfarr- 
llerus tretenden Zesuiten von diesem bald nicht mehr wie die fernen vergöttert, sondern 
nach dem Vorbild früherer Zeiten gelegentlich auch als lästige Rivalen scheel angesehen 
würden, und 3. es jedem einzelnen und jeder Genossenschaft stets zum Vorteil gereichte, 
mit der Eloriole des Martyriums geschmückt zu sein. Auch wäre es durchaus falsch, 
zu meinen, die Fesuiten seien in jeder Hinsicht noch die alten und alle einer Richtung. 
Wags ist heutzutage noch einheitlich? Kaum eine theologische Fakultät, kaum ein Dom- 
kapitel, kaum der Klerus einer kleinen Diözese. Um wieviel weniger ein internationaler 
Orden — trotz der Verpflichtung, den Gehorsam soweit zu treiben, tanquam cadaver 
esset! Mag es immerhin, was nicht geleugnet werden kann, einzelne Jesuiten geben, 
bie anscheinend durch alle Erfahrungen ihrer Gesellschaft nicht gewitzigt wurden; darum 
dem ganzen Orden nachsagen, er habe in 300 Zahren nichts gelernt und nichts vergessen, 
widerspräche evidenten Tatsachen. Der Unterschied, welcher etwa zwischen den Leistungen 
des trefflichen Bollandistenkollegiums in Brüssel einerseits, und gewissen Lukubrationen der 
Civilta cattolica oder der Stimmen aus Maria Laach andererseits besteht, ist beinahe so groß, 
als er innerhalb der katholischen Kirche überhaupt sein kann. Freilich ist eine Zulassung nach 
Auswahl untunlich. Immerhin aber wäre es schade, wollte man Männer zurückstoßen, welche 
bereit und gesonnen sind, ehrlich mitzuarbeiten an der Bildung und Veredelung unseres Vol- 
kes, an der Wohlfahrt und Größe des Reiches. Zu viele Arbeiter kann es da gar nie geben. 
Von dem mit den Orden in einer gewissen 
Vereinswesen und Konfession. 
Verwandtschaft stehenden Bruderschafts- und 
  
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