70 Die katholische Kirche. VIII. Buch.
haltten und zu fördern, wird er darauf hinarbeiten, alles Trennende, auch die konfessio-
nellen Schranken — wenngleich nicht im Glauben, so doch im Verkehr — nach Möglich-
keit zu beseitigen. Aber er findet hierbei wiederum die schlimmsten Gegner in jenen
Untertanen, denen alles Katholische ultramontan und die Ultramontanen nicht gleich-
berechtigt sind. So arbeiten pseudoliberale Unduldsamkeit und kirchliche Angstlichkeit auf
katholischer Seite sich in die Hände, um die im Glauben Getrennten auch im Leben mög-
lichst auseinanderzuhalten. Beide wollen mit dem Hinweis auf das Tun ihres Wider--
parts die Notwendigkeit des eigenen begründen. Mehr als einmal war es so das Ver-
hängnis des deutschen Katholizismus, daß er an wichtigen Wendepunkten, wo er im
Begriffe stand, kulturelle Bedeutung und nationale Geltung zu gewinnen, durch dieses
Zusammenwirken einheimischer Verständnislosigkeit und romanischer Angstlichkeit sich
gezwungen sah, darauf zu verzichten und sich auf sich selbst zurückzuziehen. Und doch
könnte man auf akatholischer Seite allmählich so weit sein, die Kulturkampfstimmung
als Anachronismus zu erkennen, ebenso wie man andererseits konstatieren muß, daß
viele Ztaliener, die mit dem kirchlichen Primate keineswegs identisch sind, ihre einhei-
mischen, dem Fremden oft genug magis admiranda quam imitanda scheinenden Zu-
stände ohne weiteres für musterhaft und für katholisch schlechtweg halten, obwohl sie
tatsächlich höchst partikularistisch sind und andere Nationen sich mit Recht gegen sie wehren.
So wie die Dinge liegen, wird die Richtung im deutschen Katholizismus, welche, un-
belehrt durch die üblen im 18. Jahrhundert gemachten Erfahrungen, in der möglichst
vollständigen Abschließung von den Protestanten das einzige und sicherste Heil sieht,
unbekümmert darum, daß so mit Notwendigkeit zwei sich nicht mehr verstehende Bölker
innerhalb des einen Reiches sich bilden müßten, immer von zwei Seiten Aufmunterung
und Unterstützung finden. Das Schädliche einer solchen Absperrung auch für die Katho-
liken liegt darin, daß sie der wertvollen kulturellen Förderungen entbehren müßten,
die ihnen aus dem Verkehr mit ihren andersgläubigen Mitbürgern erwachsen können.
Auch der Vorwurf, der katholischen Kirche gelte Volksverdummung als Volkserziehung,
schöpft daraus immer neue Nahrung. Unter anderen hat Görres das namentlich von
der jesuitischen Erziehung und Seelsorge vor und in der Aufklärungszeit geübte System
der Abschließung als durchaus verderblich gerügt. Die günstigen Wirkungen dagegen,
die man von diesem sehr einfach scheinenden Mittel erwartete, sind immer ausgeblieben,
weil sich das Sostem einfach nicht durchführen läßt, wie ebenfalls die negativen Erfolge
des 18. JLahrhunderts beweisen. So wäre auch unter diesem Gesichtspunkte zu wün-
schen, daß die Versöhnungstendenzen unseres Kaisers rechts und links allgemeines Ver-
ständnis und umfassende Betätigung fänden.
Christliche Gewerkschaft Zn dem dermalen brennenden Gewerkschafts-
bristlicy schaften- streit wollte man einen Beweis dafür finden, daß
die Weigerung bzw. das Verbot des Zusammengehens der Konfessionen zu gemeinsamer
Vertretung der Standesinteressen von katholischer Seite ausgehe. Aber das ist, wenn
wir recht berichtet sind, nichts weiter als Schein. Unter der Hülle konfessioneller Be-
fürchtungen verbergen sich hier andere, nur selten Uar ausgesprochene Motive, wenig-
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