Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
VIII. Buch. Oie katpbo#llsche Kirche. 73 
  
tungen erfahren, als die katholischen Studentenkorporationen. Der Ansturm vom Zahre 
1905, womanihnen im Namender akademischen Freiheit die Freiheit zu existieren absprechen 
wollte, ist noch in lebhafter Erinnerung. Nun ist zuzugeben, daß die Scheidung unserer 
Studenten nach Konfessionen kein Zdealzustand ist. Aber andererseits kann man nicht er- 
warten, daß die konfessionelle Scheidung unseres Volkes sich nicht auch im studentischen 
Leben irgendwie äußere. Warum die Religion, die nun einmal konkret in den verschie- 
denen Kirchen ausgeprägt ist, nicht ebenso Einigungsprinzip sein darf, wie manches andere 
Ideal, ist nicht einzusehen. Wenn es konfessionelle Studentenverbände in früheren 
Fahrhunderten nicht gab, so erklärt sich das einfach daraus, daß seit der Reformation 
die Universitäten selbst konfessionell waren und zumeist auch nur Stubenten eines 
Glaubens hatten. Daß auch an den — wenigstens soweit es auf die Hörer ankommt — 
paritätisch gewordenen Hochschulen erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts der Unter- 
schied der Konfession in den studentischen Korporationen sich geltend macht, während 
er vorher kaum hervortrat, ist eben ein Symptom der seit den fünfziger Jahren über- 
haupt, und zwar nicht nur von katholischer Seite, stärker werdenden Betonung der Kon- 
fessionen. Sind ja die Satzungen mancher Verbindungen teilweise in einem Sinne 
umgestaltet worden, der den Katholiken mit den Grundsätzen seiner Kirche in Konflikt 
bringen mußte. Der Kulturkampf hat dann das Weitere getan, wie überhaupt alle An- 
griffe immer nur zum Zusammenschluß und damit zur Verstärkung der „ultramontanen“ 
Elemente geführt haben. Ubrigens haben eifrig kirchliche Kreise an den katholischen Stu- 
dentenvereinigungen nicht selten auszusetzen, daß sie sich zu wenig um kirchliche Inter- 
essen kümmern. In dieser Bemängelung von entgegengesetzten Seiten dürfte ein gün- 
stiges Zeugnie liegen. Jedenfalls ist von konfessioneller Unduldsamkeit bei den frag- 
lichen Verbänden keine Spur zu finden. Läßt man sie ruhig gewähren, so wird das so 
bleiben, und damit ist schon viel erreicht. Mißhandlung und Bedrückung aber, zumal 
unter dem Alushängeschild akademischer Freiheit, wäre das sicherste Mittel, sie zu dem 
zu machen, was man gelegentlich schon bisher fälschlich in ihnen sah: Brutstätten eines 
undulbsamen, engbrüftigen Katholizismus. Schon die Hetze vom Zahre 1905 ist bier 
nicht ganz ohne schädlichen Einfluß geblieben. Die patriotische Gesinnung der katholischen 
Studentenverbände ist über allen Zweifel erhaben. Man hört dort, und zwar nicht nur 
bei festlichen Anlässen, wo man sagen könnte, es werde zum Fenster hinausgeredet, 
so warme, begeisterte Töne namentlich über unsern Kaiser, daß man in dieser Hinsicht 
nicht den geringsten Unterschied findet zwischen diesen Feiern und etwa den Kaiser- 
kommersen der Korps. Wir sprechen aus Erfahrung. Sobald die anderen Korporationen 
ihre Statuten so weitherzig gestalten, daß auch ein Katholik ohne Gewissenskonflikt ihnen 
beitreten kann, wird den konfessionellen Studentenverbindungen der Boden entzogen. 
Täuscht nicht alles, so ist das akademische Korporationswesen überhaupt großenteils 
überlebt und in einer gründlichen Umgestaltung begriffen, indem mehr fachliche, sport- 
liche und soziale Interessen für Gruppenbildung maßgebend werden sollen. Daß inner- 
halb dieses Einteilungsprinzips noch religiöse Gesichtspunkte mit Erfolg sich geltend 
machen können, ist wenig wahrscheinlich. Damit wäre die Frage der konfessionellen 
Korporationen von selbst erledigt. 
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