Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
IX. Buch. Oie Universitäten. 7 
  
Die Professoren. 
Besetzung der Lehrstühle. In dem ungestörten Frieden eines Bierteljahrhunderts 
haben die akademischen Lehrer, vom Staat geschützt 
und gefördert, ihre Saaten ausstreuen und dem Staat ein neues Geschlecht von 
Theologen, Nichtern, Arzten, Lehrern geben können. Die beiden Grundpfeiler der 
Universität, Freiheit der Forschung und der Lehre und Selbstverwaltung, stehen 
unerschüttert. Bisweilen ruft die Neubesetzung der Lehrstühle zwischen den 
Fakultäten und der vorgesetzten Behörde Meinungsverschiedenheiten hervor, die in 
wichtigeren Fällen auch ihren Weg in die Offentlichkeit finden. Solche Differenzen ent- 
springen dem Bewußtsein, daß den Universitäten, wenn auch nicht formell, so doch 
traditionell die gleiche Verantwortlichkeit für die Auswahl der Lehrer und Führer der 
Zugend obliege, wie der vorgeordneten Instanz. Die Empfindung, daß eine Nicht- 
berücksichtigung ihres staatlich anerkannten und eingegliederten Organismus für sie eine 
Verletzung dieses Organismus bedeute, ist als Ausfluß eines über Rechte und Pflichten 
eifersüchtig wachenden Ehrgefühls trotz gelegentlicher Irrtümer hoch zu bewerten. Die 
richtige Besetzung der Lehrstühle ist eine schwierige Sache. Examina entscheiden nicht 
und könmen nicht entscheiden. Es ist möglich, daß das Ministerium eine geeignetere Wahl 
trifft als die Fakultät vorgeschlagen hat. Es ist aber auch möglich, daß es dabei eine 
weniger glückliche Hand zeigt, ja es mag sein, daß beide, Fakultät und Ministerium, sich 
manchmal gemeinsam irren; im ersten Falle werden die Wellen sich schnell beruhigen, 
wenn tägliche Beobachtung die Wahl des neuen Amtegenossen als richtig erweist; im 
zweiten Falle wird jede Klage eines Studierenden, jeder Fehler des Entsendeten zu 
neuen Betrachtungen Anlaß geben und alte Wunden aufreißen. 
Die Unabhängigkeit der Professoren ist durch die materielle Besser- und 
Sicherstellung erheblich verstärkt worden. 
Richt nur, daß die Fonds zur Erhöhung der Gehälter vermehrt worden sind; höher 
ist die Einführung regelmäßiger Gehaltssätze und das Aufrücken von Stufe zu Stufe 
zu veranschlagen, das dem einzelnen eine von jeder scheinbaren Willkür oder Bitte un- 
abhängige Sicherung seiner Lage gewährt. Die mit dieser Besserstellung verbundene 
Verkürzung besonders hoher Kollegienhonorare war, wie wohl manchen Anfechtungen 
ausgesetzt, durch die ausgleichende Gerechtigkeit, wie durch die Tatsache gerechtfertigt, 
daß die Höhe der Kollegiengelder in vielen Fällen weniger von der wirklichen Tüchtig- 
keit oder Anziehungskraft des Dozenten als von äußeren Umständen, Mitgliedschaft 
der Prüfungskommission, Beliebtheit der Universitätsstadt und der privilegierten Stellung 
selbst abhängt. Ein gänzlicher Wegfall der Kollegiengelder würde aber einen so großen 
Eingriff in die Eigenheit des akademischen Lebens bedeuten, daß davon ernste Gefahren 
für die Stellung der akademischen Lehrer, namentlich nach ihrer materiellen Seite hin, 
zu befürchten wären. Dieser gesicherten Unabhängigkeit der Professoren gegenüber be- 
deutet es keinen erheblichen Nachteil, wenn ihr Titel, der lange Zeit nur durch literarische 
Arbeit gewonnen werden konnte und durch sie sein Ansehen empfing, jetzt als Alters- 
  
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