38 Das höhere Schulwesen. IX. Buch.
und nicht zu einer festen Regelung. Eifriger tätig waren die Unzufriedenen. Der Ge-
danke, daß das Weib eigentlich nur für den Mann erzogen werden solle, sei es um ihn
zu unterhalten oder um seine Arbeit zu fördern, erregte bei allen denen Anstoß, die dem
Geschlecht eine gleichberechtigte Stellung, wo nicht im Berufsleben, so doch im Geistes-
leben zu erobern gedachten. Richt um dem Manne, der es erwählen würde, zu dienen,
sondern um das eigne Dasein sich inhaltvoll zu schaffen, mit selbständigem Anteil an den
Aufgaben, Kämpfen und Fortschritten einer reichbewegten Zeit, dazu sollte das Mädche###
erzogen werden; ein Unterricht aber, der zu solcher Erziehung hülfe, schien nur von Frauen
erteilt werden zu können. So traf das ideale Verlangen nach erhöhter weiblicher Bildung
mit dem praktischen zusammen, daß den Frauen mehr Anteil an dem wissenschaftlichen
Unterricht der oberen Klassen gegeben werden müsse. Und dies war wieder nur ein be-
sonderer Fall des allgemeinen Strebens nach Eröffnung neuer und erweiterter Berufs-
wege und Erwerbsmöglichkeiten für die alleinstehende gebildete Frau.
Wie es zu gehen pflegt: im Kampfe der Interessen vermag der
harte, aus einer Not erwachsene praktische Zweck eher sich
durchzusetzen als das reinste und edelste, nur aus geistigem Stoffe genährte Ideal.
Die Bemühungen um bessere Geistesbildung für die weibliche Jugend fanden stärkste
Hilfe in der Entwicklung des wirtschaftlichen Lebens seit 1871, den BVerhältnissen des
Arbeitsmarktes, in dem Anwachsen der Zahl unverheirateter Frauen, die darauf an-
gewiesen waren, sich den Lebensunterhalt selbst zu verdienen.
Die Frauenfrage.
Erwägungen der angedeuteten Art kamen, soweit sie
überhaupt die Schule betrafen, in einer Petition zum
Ausdruck, die im Jahre 1887 von Berliner Frauen dem
Kultusministerium eingereicht wurde. Unmittelbar hatte sie keinen Erfolg. Durch die Be-
gleitschrift aber, in der Helene Lange die gestellten Anträge begründet hatte, wurden die
neuen Gedanken in die Offentlichkeit getragen und wirkten anregend und erregend weiter.
Auch begnügte sich die Verfasserin nicht, ihre Forderungen theoretisch zu vertreten,
sondern ging dazu über, sie auf eigne Hand und mit privaten Mitteln zu verwirklichen.
Im ZLahre 1889 wurden in Berlin Realkurse für Frauen eröffnet; wer diese durchgemacht
hatte, mochte in der Schweiz das Zeugnis der Reife erwerben, und dann entweder dort
oder an einer der deutschen Universitäten, die damals schon Frauen als außerordentliche
Hörerinnen zuließen, studieren. Aber die Freunde und Freundinnen des Fortschritts
ruhten nicht. Petitionen wurden zuerst an alle deutschen Unterrichtsministerien, dann
an den Reichstag und die einzelnen Landtage geschickt: es möge grundsätzlich den Frauen
gestattet werden, das Maturitätsexamen abzulegen, auf Universitäten und anderen Hoch-
schulen zu studieren und später, nach Bestehen der vorgeschriebenen Prüfungen, in den
ärztlichen Beruf und den wissenschaftlichen Lehrberuf einzutreten. Der Reichstag be-
schäftigte sich zum erstenmal im Frühjahr 1891 mit dieser Frage, und ging über die Pe-
titionen zur Tagesordnung über. Etwas besseren Erfolg hatten sie in den Landtagen
der Einzelstaaten, von denen sich besonders der badische freundlich zu der Bewegung
Anfänge mit Real- und
Gymnasialkursen.
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