IX. Buch. Das höhere Schulwesen. 43
Diese zu vereinbaren war die Aufgabe der Konferenz,
die im Fanuar 1906 im Kultusministerium zusammen-
trat. Die Hauptfrage war: Gabelung oder Aufbau? Has beißt: sollte nun doch
eine sechsklassige Studienanstalt, der Mittel- und Oberstufe einer höheren Knaben-
schule entsprechend, von der Mädchenschule abgezweigt werden, oder sollten weiter
auch diejenigen Mädchen, die von vornherein die Absicht hatten zu studieren, erst mit
den anderen die Schule bis zu Ende durchmachen, um sich dann in einem daran an-
schließenden Kursus auf die Universität vorzubereiten? Auf der einen Seite stand die
Forderung, daß dem weiblichen Geschlecht eine Bildung zugänglich gemacht werde, die mit
der mämmlichen gleichberechtigt und gleichwertig wäre; dies könne nur dann als völlig
gesichert gelten, wenn auch äußerlich der Bildungsgang gleich gemacht würde. Der an-
deren Partei schien es bedenklich, den Tatbestand der höheren Knabenschulen in dem
Augenblicke zum Muster zu nehmen, wo er selber im Fluß begriffen und immer noch
Gegenstand beftiger Angriffe war. Etwas der Art nach Neues mühsse geschaffen werden,
mit sorgsamem Eingehen auf die pspchische Natur der Frau. Dagegen wurde ein-
gewandt: die verbesserte Mädchenschule nehme 10 Jahre in Anspruch; komme dazu ein
fortsetzender Kursus von 3 oder gar 4 Jahren, so hätten die Mädchen einen 14 oder
doch 15 jährigen Lehrgang durchzumachen, um ein Ziel zu erreichen, an das die Knaben
in 12 Jahren gelangen könnten. — Trotzdem gewann in der Konferenz der „Aufbau“
den Sieg; auch hervorragende Universitätslehrer, wie Adolf Harnack, stimmten dafür.
Zanuar-Konferenz 1906.
So war es für Außenstehende eine Uberraschung,
als die mit Allerhöchster Kabinettsorder vom
15. August 1908 eingeführte Neuordnung des höheren Mädchenschulwesens doch
anders entschied. Drei Arten einer Studienanstalt wurden von der höheren Mädchen-
schule abgezweigt: für die Oberrealschule machte das gar keine Schwierigkeit, für Real-
gymnasium und Gymnasium gab, wie schon in Karlsruhe und Stuttgart, der Frank-
furter Lehrplan mit seinem lateinlosen Unterbau ein fertiges Vorbild. Die höhere
Mädchenschule selbst, seit 1912 „Lpzeum“ genannt, wurde auf den zehnjährigen Lehrgang,
der tatsächlich doch schon der herrschende geworden war, eingerichtet. Daran konnte sich
ein höheres Lehrerinnenseminar anschließen, das drei Zahre wissenschaftlichen Unter-
richts und ein praktisches Zahr umfaßte. Seminare dieser Art hatte es in Verbindung mit
höheren Mädchenschulen, privaten wie öffentlichen, schon vielfach gegeben; jetzt erhielten
sie zum erstenmal einen festen Lehrplan, vier JFahre später die Benennung „Oberlpzeum“.
Endlich sollte denjenigen jungen Mädchen, die weder daran dächten die Universität zu
beziehen noch sich zu Lehrerinnen auszubilden, Gelegenheit geboten werden, ihre Bil-
dung in der Richtung der künftigen Lebensaufgaben einer deutschen Frau zu erweitern.
Stwas Ahnliches war schon 1894 empfohlen worden; jetzt wurde für solche „Frauenschule“
ein planmäßiger Unterricht vorgesehen, der nach Umständen ein oder zwei Zahre dauern
konnte. Aber auch der Bildungsgang in den zehn Jahren der höheren Mädchenschule,
der doch immer noch als der eigentlich normale gedacht war, wurde verbessert. Mathematik
sollte helfen, die weibliche Natur zur Exaktheit des Denkens zu erziehen, der deutsche wie
Die Neuordnung von 1908.
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