48 Das höhere Schulwesen. IX. Buch.
Bedenken gegen die innere Tüchtigkeit. Freilich der wertvollste Teil, das
Innenleben der Schule wie der
Menschen, läßt sich nicht ausstellen, auch nicht, ob es gesund und kräftig sei, durch Prüfungen
und Renisionen feststellen. Darüber entscheidet spät erst die Bewährung im äußeren
Leben, das von Natur ein Wettkampf ist. Das war ja der Sinn der Gleichberechtigung,
der Bestärkung verschiedener Schulen in ihrer Eigenart, daß jede zeigen sollte, was sie
vermöchte, um ihre Zöglinge für die Aufgaben des Breufs tüchtig zu machen. Unmerklich
hat sich dieses Verhältnis in der Richtung zu verschieben begonnen, daß die Anstalten wett-
eifern, welche ihre Zöglinge am sichersten an das vorläufige Ziel des Eintritts in die Be-
rufsstudien bringt. Diese Verschiebung hängt mit einem Wandel zusammen, der sich in
der Organisation unseres öffentlichen Lebens immer weiter vollzieht; der Grundliegt also
außerhalb des Machtbereichs der Schule. Was sie tun kann, um den Staat und die Ge-
sellschaft vor Schaden bewahren zu helfen, ist, daß sie es mit der Gewährung jenes Zu-
tritts, d. h. mit der Erteilung ihrer Zeugnisse, streng nimmt; um so strenger, je größer
durch die Menge derer, die sich anbieten, die Gefahr wird, daß auch Untüchtige mit herein-
kommen. Und ob in dieser Beziehung an unseren höheren Schulen alles geschehen ist,
was zum Wohl der Gesamtheit nötig war, ist eine Frage, über die eben jetzt lebhaft ge-
stritten wird. Auf der einen Seite schienen ernste Somptome darauf hinzudeuten, daß
viele der Heranwachsenden den ODruck dessen, was die Schule fordert, nicht mehr er-
tragen könnten; und so ist es zu verstehen, daß man durch fortgesetzte Verminderung der
häuslichen #rbeit, durch verkürzte Unterrichtszeit, durch erleichternde Versetzungs- und
Prüfungsbestimmungen zu helfen suchte. Andrerseits mehrten sich nun die Klagen,
daß junge Leute, die mit dem Zeugnis der Reife die Universitäten bezogen, nicht das
Maß von Arbeitskraft und Denkfähigkeit mitbrächten, dessen sie zu gründlichem, innerlich
erfolgreichem Studium bedürften. Der Streit ist noch nicht geschlichtet und gehört noch
nicht der Geschichte an.
„Bewegungsfreiheit.“ Ein Mittel, das nach beiden Seiten zugleich beilsame
Wirkung versprach, war zuerst (1905) von Friedrich
Paulsen vorgeschlagen worden: dem Unterricht in den höheren Klassen möge eine mehr
akademische Gestalt gegeben werden. Man hoffte, gerade für begabte Schüler, die
Last der schulmäßig auferlegten Arbeit zu vermindern und zu eigener wissenschaftlicher
Vertiefung Zeit und Kräfte frei zu machen. Der Plan, anfänglich von vielen mit
Freude begrüßt, hat doch in dieser Form keinen rechten Erfolg gehabt, vor allem des-
halb weil, trotz ausgesprochener Warnung, sehr bald der Fehler begangen wurde, die
Wahlfreiheit auch auf solche Gegenstände auszudehnen, die im Lehrplan der einzelnen
Schule den Hauptbestand bildeten, wie Latein und Griechisch am Gypmnasium, Mathe-
matik und Naturwissenschaften an der Oberrealschule. Das widersprach dem Geiste
des Allerhöchsten Erlasses, der ja verlangt hatte, daß immer die wichtigsten Unterrichts-
fächer, nach der Eigenart der verschiedenen Anstalten, in den Vordergrund gerückt
und vertieft würden. Und das doch mit vollstem Rechte. Für freie Bewegung liegt
der gegebene Spielraum im Innern, in der Art wie der Unterricht erteilt, wie das Denken
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