Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
56 Volksschulen. IX. Buch. 
  
unterscheidet Schulen, in welchen nur evangelische oder nur katholische Lehrkräfte den 
Unterricht erteilen, und solche Schulen, an welchen gleichzeitig evangelische und katholische 
Lehrkräfte angestellt sind. Es hält den bisherigen Bestand an beiden Schularten aufrecht 
und schafft feste, gesetzliche, zahlenmäßige Grundlagen hinsichtlich der Konfession der 
anzustellenden Lehrer, hinsichtlich des Charakters einer neu zu errichtenden Schule und 
der Umwandlung einer Schule der einen Art in die andere, wobei dem Beschluß des 
Schulverbandes, also der Gemeindeangehörigen, die maßgebende Stellung eingeräumt 
ist. Es stellt ferner das Recht der konfessionellen Minderheit fest, in bestimmten Fällen 
die Einrichtung einer besonderen Schule ihrer Konfession zu verlangen, und es sorgt für 
den Religionsunterricht der Kinder der Minderheit, wenn deren Zahl wenigstens 12 
beträgt. Damit ist eine Grundlage für den konfessionellen Frieden geschaffen, deren die 
bisherige Schulgesetzgebung in Preußen entbehrte. Bielfach angegriffen ist die vom 
Grafen Zedlitz stammende, von der preußischen Unterrichtsverwaltung seitdem aufrecht 
erhaltene Bestimmung, daß die Kinder von Dissidenten an dem Religionsunterricht der 
Schule, in die sie eingeschult sind, teilnehmen müssen. Bezüglich der Kinder aus Misch- 
ehen herrscht ein unbefriedigender Zustand. Bei Erlaß des Bürgerlichen Gesetzbuches 
mußte davon Abstand genommen werden, diese Materie zu regeln. So gelten heute noch 
in allen deutschen Staaten alte, zum Teil widerspruchsvolle Bestimmungen fort und in 
der Rechtsprechung muß es daher zu mancherlei entgegengesetzten Entscheidungen kom- 
men. Die alten Bestimmungen schlagen dem modernen Empfinden religiöser Toleranz 
oft geradezu ins Gesicht. Aber während es früher als Aufgabe der Schulverwaltung 
galt, zu entscheiden, in welcher Schule, also in welcher Religion ein Kind zu erziehen ist, 
hat sie sich im Laufe des letzten Vierteljahrhunderts von dieser Entscheidung, sobald 
Streit eintritt, mehr und mehr zurückgezogen und überläßt sie den Vormundschaftsgerichten. 
Es ist nicht zu erwarten, daß es sobald zu einer gesetzlichen Regelung der Mischehenfrage 
weder im Reiche noch in Preußen kommen wird. Es stehen hier dieselben Schwierig- 
keiten entgegen, die das Zustandekommen eines umfassenden Volksschulgesetzes in Preußen 
verhindern. Nach dem Scheitern des Goßlerschen und des Zedlitzschen Entwurfs und, 
nachdem die Verabschiedung wichtiger Sondergesetze geglückt ist, wird die preußische Unter- 
richtsverwaltung nicht sobald wieder den Schulfrieden durch Einbringung eines neuen 
umfassenden Volksschulgesetzes gefährden. So wird auch das Privatschulwesen weiter 
einer befriedigenden NRegelung entbehren müssen und es werden, wie dies auch neuer- 
bings eingeleitet ist, Maßregeln im Berwaltungswege getroffen werden mühssen, die den 
Rechten der Privatschulinhaber gerecht werden. Das preußische Volksschulwesen trägt 
übrigens fast ausschließlich öffentlichen Charakter. 
Die Leistungen der Volksschule haben sich 
dank der Verbesserung ihrer äußeren Organi- 
sation, dank den Fortschritten auf dem inneren 
Unterrichtsgebiete in der Regierungszeit Kaiser Wilhelms ll. gehoben. Der Pflege des 
Geschichtsunterrichts und des Volksliedes hat der Kaiser persönlich sein förderliches Inter- 
esse zuteil werden lassen. Die Volksschule erreicht das eine ihrer Ziele, die Unterweisung 
Leistungen. 
Staatsbürgerliche Erziehung. 
  
  
1106
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.