IX. Buch. Volkeschulen. 61
Das Turnen und die Körperpflege der Volksschulzugend haben in dem
letzten Zahrzehnt die sorgfältigste Pflege erfahren. Die Methodik des Turn-
unterrichts ist wesentlich gebessert worden. Neuerdings ist ein verheißungsvoller Anfang mit
der Einführung des Mädchenturnens gemacht worden. A#uch die Mädchen der einfachsten
Dorsschule nehmen mit Begeisterung am Turnunterricht teil. Die Schule sucht darauf hin-
zuwirken, daß die Mädchen Turnkleidung (Turnhose) tragen. In nordischen Ländern soll
es bereits erreicht sein, daß die Mädchen beim Turnen den Rock abzulegen verpflichtet
sind. Vor etwa einem Jahrzehnt bereits ist bei uns die etwas gewagte Verfügung getroffen
worden, daß kein Schulmädchen beim Turnen ein Korsett tragen darf. Eine lebhafte Be-
wegung ist entstanden, um den obligatorischen Spielnachmittag einzuführen. Bis jetzt hat
ihr der Minister zum Schutze des Familienlebens, das neben dem Schulzwange doch auch
seine Rechte hat, noch Widerstand geleistet.
Turnen.
Schulzeit. Die Schulzeiten sind vom hygienischen Gesichtspunkt aus in sorg-
— fältigste Beobachtung genommen worden. Ee sind Pausen eingerichtet
zwischen den einzelnen Unterrichtsstunden. Bei großer Hitze muß der Unterricht ausgesetzt
werden. Den letzten beiden Jahrzehnten gehören auch die Bestrebungen nach Zusammen-
legung des Unterrichts auf den Vormittag an, die freilich sehr verschiedener Beurteilung
unterliegen, auch nicht ausschließlich auf hpgienische Beweggründe zurückzuführen find.
Oie meisten städtischen Schulvorstände haben sich gegen den ungeteilten Unterricht in den
Volksschulen ablehnend verhalten wegen der großen sittlichen Gefahren, denen die Kinder
weiter Kreise, die mit dem freien Nachmittag nichts rechtes anzufangen wissen würden,
unterliegen würden. Auf dem Lande ist es anders, wo die Eltern die Kinder gern zu
landwirtschaftlichen Arbeiten am Nachmittag heranziehen würden, und die Schulbehörden
oft einen schweren Stand haben, um die Kinder vor allzu harter, sie früh aufreibender
Arbeit und Ausbeutung zu schützen.
Ansteckende Krankheiten. Die Bekämpfung der Verbreitung anstecken-
der Krankheit hat zwar schon einige Jahre vor
dem Regierungsantritt Kaiser Wilhelms II. begonnen. Sie ist aber unter ihm
energisch fortgesetzt worden und hat bedeutende Erfolge zu verzeichnen, was sich
namentlich in der Zurückdrängung der Tuberkulose und der Verminderung der Sterb-
lichkeit der Bevölkerung zeigt. Als der erste Erlaß über die Aufstellung von Spucknäpfen
in den Schulen erschien, da hat er vielfach, auch bei sonst einsichtigen Schulmännern un-
gläubige Ablehnung erfahren. Heute hat sich die Anschauung durchgesetzt, daß das Volk
binsichtlich des Spuckens erzogen werden muß. Oie Eisenbahnverwaltung hat hierbei
auch ihr Verdienst. Ist es auch nicht möglich, jedem Kinde einen Spucknapf in erreichbare
Nähe hinzusetzen, so geht es doch sehr wohl an und es geschieht, daß die Kinder angehalten
werden, nicht auf den Boden zu spucken. Die Regierungen haben die Lehrer auf ihre
Seite gebracht; diese wissen heute, wieviel für ihre eigene Gesundheit von der Erziehung
zur Reinlichkeit abhängt. Die Anweisung zur Verhütung der Verbreitung übertragbarer
Krankheiten von 1884 hat 1907 eine Neubearbeitung erfahren. Das Verfahren des Aus-
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