Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
64 Volksschulen. IX. Buch. 
  
Die Sozialpolitik des Reichskanzlers schloß aber das Schulgeld in jeder Form aus, indem 
sie von dem Gedanken ausging, daß es vornehmlich den armen Mann bedrücke. Nachdem 
Biemarck 1881 im preußischen Abgeordnetenhause das Schulgeld für eine der drückendsten 
Abgaben erklärt hatte, deren Abschaffung er als eine außerordentliche Wohltat für das 
ganze Land ansehen würde, brachte der Kultusminister seine Entschließung zum Ausdruck, 
daß die Beseitigung resp. die Ermäßigung des Volksschulgeldes, welches eine gesetzmäßige 
Einrichtung eigentlich nicht mehr sei, anzustreben sei. Freilich hat es noch sieben Jahre 
gedauert, bis es zu der Bestimmung des Gesetzes von 1888 kam, wonach die Erhebung 
eines Schulgeldes bei den Volksschulen fortan, mit zwei Ausnahmen, nicht mehr stattzu- 
finden habe. Die eine betrifft das Fremdenschulgeld, das für Beschulung in einer Ge- 
meinde zu zahlen ist, in der die Kinder nicht einheimisch sind, und ist völlig gerechtfertigt, 
auch im Volksschulunterhaltungsgesetz (1906) beibehalten. Die andere aber gestattete die 
Forterhaltung des Schulgeldes noch soweit, als das damals bestehende Schulgeld durch 
den durch dasselbe Gesetz den Schulunterhaltungspflichtigen gewährten Staatsbeitrag 
nicht gedeckt würde und andernfalls eine erhebliche BVermehrung der Kommunal- und 
Schulabgaben eintreten würde. Das darnach einstweilen überhaupt noch zulässige Schul- 
geld war in Landschulen mit Genehmigung des Kreisaueschusses, in Stadtschulen des 
Bezirksausschusses festzustellen. Die Anschauungen in diesen Kreisen waren aber noch 
so wenig von den sozialen Ideen der Staatsregierung beeinflußt, daß es in zahlreichen 
Fällen zu gesetzwidriger Erhebung von Schulgeld kam, so daß ernstliches Einschreiten des 
Ministers und ein neues Gesetz von 1889 nötig waren, um die Schulgelderhebung zu 
beseitigen. Es mag sein, daß noch bis zum Volksschulunterhaltungsgesetz an vereinzelten 
Orten Schulgeld erhoben worden ist. Mit dem wachsenden Staatebeitrag ist es gänzlich 
verschwunden. Neben dem Fremdencchulgeld ist das Gastschulgeld aufgetrreten, das aber 
weder von den Schulovätern zu zahlen ist, noch ein Kopfschulgeld zu sein braucht, sondern 
ein Entgelt darstellt, das ein Schulverband an einen andern für die Beschulung von 
Kindern aus dem ersteren im zweiten zahlt. Außerdem ist noch die Zahlung von Schul- 
geld für den Unterricht in gehobenen Schulabteilungen, in denen höhere Ziele als in der 
gewöhnlichen Volksschule verfolgt werden, zur Erhaltung dieser Abteilungen gestattet 
worden. Vor der Unentgeltlichkeit der Lehrmittel, die in einigen außerdeutschen Staaten, 
so in einigen Schweizer Kantonen, als eine Folge der Unentgeltlichkeit des Volksschul- 
unterrichts gilt, hat der preußische Staat noch Halt gemacht; sie enthielte eine Einladung 
zur Verschwendung öffentlicher Mittel. Aber es ist nicht zu leugnen, daß jetzt für die 
Beschaffung von Lehrmitteln für die Kinder unvermögender Eltern noch nicht in genügen- 
der Weise gesorgt ist. 
Erleichterung Nach der preußischen Verfassung sind die Mittel zur 
Unterhaltung deröffentlichen Volksschulen von 
den Gemeinden und im Falle des nachgewiesenen 
Unvermögens ergänzungsweise vom Staate aufzubringen. Der Staat hat den Ge- 
meinden auf doppelte Weise die Tragung der Volkeschullasten erleichtert, erstens durch 
Bildung gemeinsamer Kassen für bestimmte Zwecke zur Ubertragung der Kosten auf 
  
der Schulunterhaltung. 
  
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