IX. Buch. Volksschulen. 67
Schulvorstande gebührt. Damit ist eine alte, schon von Diesterweg vertretenen Forderung
des Lehrerstandes befriedigt, der sich bis dahin trotz des nach Uüberwindung großer Wider-
stände erlassenen, die Aufnahme der Lehrer in den Schulvorstand empfehlenden Ministerial-
erlasses von 1902 in den meisten Landesteilen von der Schulverwaltung ausgeschlossen
sah. Aber weder sind die des Erziehungs- und Volksschulwesens kundigen Männer aus-
reichend vertreten, weil unter diesen Männern auch solche verstanden werden können, die
sich nur dafür interessieren, noch ist die Familie ausreichend beteiligt. Es besteht keine
Vorschrift, daß ein Teil dieser Männer Familienväter, und zwar von Kindern, die die
Volkeschule besuchen, sein müssen. Auch sind die Schulvorstände der Einzelschulverbände
auf dem Lande eines wesentlichen Teils ihres Einflusses entkleidet, indem die Geld-
bewilligung bei den Gemeinden ruht und die Bestimmungen über die Geldverausgabung
vieldeutig sind. In besserer Lage befinden sich die Schuldeputationen in den Städten,
welche auf Grund der Schuldeputationsordnung von 1811 eine wirkliche Fortbildung
im Sinne der Selbstverwaltung erfahren haben, und die Gesamtschulvorstände. In
Preußen ist es beute noch möglich, daß wichtige BVerordnungen auf dem inneren Gebiete
ergehen, ohne daß Sachverständige aus dem Volke in maßgeblicher Weise gehört sind.
In Bapyern und Baden hat man zur Beratung der obersten Unterrichtsbehörde Unter-
richtsbeiräte geschaffen, die gutachtlich zu hören sind.
Volksschullehrerstand. Der Volksschullehrerstand hat sich in der Regierungs-
zeit Kaiser ilhelms II. in einem Maße gehoben, wie nie
zuvor in so kurzer Zeit. Die unwürdige, oft demütigende Abhängigkeit von der Umgebung
ist geschwunden. Der Volksschullehrerstand ist durch erhöhte Bildung und durch ein von
den Lehrervereinen gepflegtes lebhaftes Standesbewußtsein innerlich gefestigt worden
und seine äußere Lage ist, wenn sie auch noch keineswegs allen berechtigten Ansprüchen
genügt, doch derart verbessert worden, daß der Beruf jetzt starke Anziehungskraft auf
weite Volkskreise ausübt. Uberall in Deutschland sind die Verhältnisse des Volksschul-
lehrerstandes denen des Standes der unmittelbaren Staatsbeamten mehr und mehr an-
geglichen worden.
An der bewährten Einrichtung der Lehrerbildung auf besonderen
Anstalten ist unter Wilhelm ll. festgehalten worden. Aber während vor
25 ZJahren die Vorbereitung auf die eigentliche Lehrerausbildungsanstalt, das Seminar,
noch sehr häufig auf privatem Wege oder in zweijährigen, fast ausschließlich privaten
Präparandenanstalten erfolgte, ist allmählich die dreijährige Anstaltsvorbereitung durch-
geführt worden, wenn auch die Anstalten leider noch immer vorwiegend privaten Charakter
haben und daher unter der Unerfahrenheit und dem beständigen Wechsel des zu jugend-
lichen Lehrpersonals leiden. Gerade in letzterer Beziehung ist aber die Besserung durch
Errichtung staatlicher Stellen kürzlich angebahnt worden. Die Internatseinrichtung der
Seminare ist zurückgetreten hinter der Externatseinrichtung. Die aus der Regulativzeit
stammende Unterbringung der Seminare in den kleinen Städten ist mehr und mehr ver-
lassen worden. Die Zahl der Lehrerseminare ist behufs Hebung des Lehrermangels be-
Seminare.
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