Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
IX. Buch. Volksschulen. 75 
  
unzweckmäßig ist, hat in einigen deutschen Staaten, so in Baden und Sachsen, dazu geführt, 
der Volksschule Klassen und Abteilungen mit erweiterten Unterrichtszielen 
anzugliedern. In den meisten dieser Staaten sind solche Einrichtungen gesetzlich vor- 
gesehen. In Preußen ist das nicht der Fall. Nichtsdestoweniger haben sich aber auch hier 
solche Klassen und Abteilungen in kleineren Städten, die selbständige Mittelschulen zu 
errichten finanziell außerstande waren, gebildet. Die scharfe Ausbildung des Begriffes 
„Volksschule“, welche die den Volksschulen zugewandten Staatswohltaten, also namentlich 
die Staatsbeiträge zum Lehrergehalt und den Anschluß an die Alterszulagen- und Ruhe- 
gehaltskassen mit den Staatsbeiträgen nur den unter den gesetzlichen Begriff „Volksschule“ 
fallenden Schuleinrichtungen erhalten wollte, bedrohte den Bestand der gehobenen Ab- 
teilungen. Auf gesetzlichem Wege war nicht zu helfen, ja der Zedlitzsche Gesetzentwurf 
hatte sich sogar im Gegensatz zum Goßlerschen, diesen Gebilden unfreundlich gegenüber- 
gestellt. Da bestimmte die Staatsregierung 1903, der Not des Mittelstandes Rechnung 
tragend, indem sie sich über die fehlende Gesetzesbestimmung hinwegsetzte, daß diese ge- 
hobenen Abteilungen rechtlich als Teile einer öffentlichen Volksschule behandelt werden 
durften, sofern sie nur ihrer wesentlichen Einrichtung nach als Volksschulen angesehen 
werden konnten. Damit waren die preußischen gehobenen Volksschulabteilungen gerettet. 
Wittelschulen. Aber diese Schuleinrichtungen sind doch mehr Notbehelfe für leine#2# 
Orte. Der Bürgerstand der größeren Orte debarf besonderer Schulen. 
In Preußen haben durch die allgemeinen Bestimmungen vom 15. Oktober 1872 Schulen 
dieser Art einen bestimmten Lehrplan und den Namen Mittelschulen erhalten, während 
man in Süddeutschland unter Mittelschule die auf die Hochschule vorbereitende höhere 
Schule versteht. In Preußen ist 1894 der die Mittelschulen umfassende Begriff: „mitt- 
lere Schule“ festgelegt worden; es sind Unterrichtsanstalten, die allgemeinen Bildungsz- 
wecken dienen und weder zu den höheren Schulen, noch zu den öffentlichen Volksschulen, 
noch zu den Fach- und Fortbildungeschulen gehören. Die Mittelschulen sind in Preußen 
lange nicht gediehen, vor allem, weil die Staatsregierung ihre Kraft und ihre Mittel dem 
Volks- und dem höheren Schulwesen zuwandte. Neuerdings ist es anders geworden, nach- 
dem die größeren Städte mit dem Ausbau höherstufiger Mittelschulen vorangegangen 
waren. Einen kräftigen Anstoß hat diese Bewegung erfahren durch die staatliche Neuord-- 
nung des Mittelschulwesens von 1910, welche den neunstufigen Typus als den normalen 
hinstellte und ihm einen neuen Lehrplan mit erweiterten, modernen Anforderungen ent- 
sprechenden Lehrzielen gab. Die Bedeutung des neunten Schuljahrs kann für die geistige 
Ausbildung und die sittliche Kräftigung der Schüler nicht hoch genug eingeschätzt werden. 
Es kommt binzu, daß lleinere Klassenfrequenzen und die der Schularbeit günstigeren 
häuslichen Verhältnisse die Wirkung der verlängerten Schulzeit unterstützen werden. 
Die Hauptsache ist, daß ein gründlicher durchgebildetes Lehrpersonal den Unterricht an 
diesen Schulen in der Hand haben soll. Die Trefflichkeit des Lehrplans und des Lehr- 
personals sollten allein genügen, um das Ansehen der Mittelschulen im Handel- und 
Gewerbestand zu steigern. Leider aber spielt hier auch die Berechtigungsfrage hinein. 
Die Uberschätzung des Wertes des Einjährig-Freiwilligenzeugnisses läßt es auch den 
  
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