Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
76 Volksschulen. IX. Buch. 
  
Mittelschulen erwünscht erscheinen, ihren Abgänglingen die mit diesem Zeugnis ver- 
bundenen Berechtigungen zu verschaffen. Das kann nun freilich, solange die bisherigen 
Grundsätze über die Qualifikation des Lehrpersonals derjenigen Anstalten, denen die 
Einjährig-Freiwilligen-Berechtigung gewährt werden darf, in Geltung bleiben, der 
Mittelschule nicht zugestanden werden. Aber mit Genehmigung Kaiser Wilhelms II. ist 
den Mittelschulen doch ein weitgehendes Entgegenkommen bewiesen worden, indem 
durch Abänderung einer Bestimmung der Wehrordnung (1912) jetzt die Möglichkeit 
geschaffen ist, daß Schüler der Mittelschulen, sofern sie diese unter Beteiligung am 
Unterricht in einer zweiten Fremdsprache erfolgreich durchgemacht haben, unmittelbar 
darnach zur Kommissionsprüfung für den Einjährig-Freiwilligendienst zugelassen werden 
können. Die genossene Ausbildung aber befähigt sie, diese Prüfung zu bestehen. Frei- 
lich ist damit der Ubelstand verbunden, daß in der Mittelschule eine zweite Fremd- 
sprache als Wahlfach betrieben werden muß und weiter, daß deswegen als Pflichtfach die 
schwerere französische Sprache an Stelle der sonst zu bevorzugenden englischen in der 
Regel genommen werden muß. Oie rechtlichen Verhältnisse der preußischen Mittelschulen 
und ihrer Lehrer bedürfen dringend der Regelung. Die Vorbereitung auf die Mittel- 
schullehrerprüfung, die bisher meistens auf Selbstvorbildung beruhte, wird neuerdings 
durch eigens dafür eingerichtete Kurse in größeren Städten erleichtert. Noch immer fehlt 
es an der nötigen Zahl von Mittelschullehrern in den kleineren und mittleren Städten. 
Die „mittleren“ Mädchenschulen sind von ganz verschiedener Art;z teils sind es 
Mittelschulen, teils höhere Mädchenschulen, denen wegen ihrer unvollkommenen Ein- 
richtung die Anerkennung als Lpzeum fehlt. Die Neuordnung des höheren Mädchen- 
schulwesens von 1908 hat hier zunächst unklare Zustände herbeigeführt, unter denn die 
kleineren Städte leiden. 
Fortbildungeschulen. Die Entwicklung des Fortbildungsschulwesens ist in den 
süddeutschen Staaten und in Preußen eine ganz verschiedene 
gewesen. In Süddeutschland ist es aus der Sonn- und Feiertagsschule der Knaben und 
Mädchen erwachsen und hatte zuerst die Aufgabe, die in der Werktagsschule un- 
vollendet gebliebenen Kenntnisse zu ergänzen, zur Anwendung des Erlerneten im 
Berufe anzuleiten, auch die religiöse Ausbildung zu fördern. Hier standen die Ziele 
der allgemeinen Fortbildungsschule im Vordergrunde. In Preußen ist das Fort- 
bildungsschulwesen aus den Bedürfnissen des Gewerbes nach schulmäßiger Aus- 
bildung der Lehrlinge, für welche die Einzellehre in der Werkstatt unzureichend wurde, 
erwachsen. Die Entwicklung des gewerblichen Fortbildungsschulwesens wird aber aus 
anderer Feder eingehend behandelt werden. Hier soll nur dasjenige Fortbildungsschul- 
wesen berührt werden, das die allgemeine Fortbildungeschule ersetzt und anbahnt. In 
Preußen sind das die sogenannten ländlichen Fortbildungsschulen. Sie haben zuerst den 
Charakter landwirtschaftlicher Fortbildungsschulen gehabt. Die preußische Staatsregierung 
ist ihnen zuerst in einem gemeinsamen Erlasse dreier Minister 1876 nähergetreten, in dem 
Grundzüge für die Einrichtung „ländlicher“ Fortbildungsschulen aufgestellt und die 
Kreisvertretungen aufgefordert wurden, Beträge zur Förderung solcher Schulen aus- 
  
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