Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
80 Die Fach- und Fertbildungsschulen. IX. Buch. 
  
kenntnis von der Uberlegenheit der französischen Kunstindustrie und die dadurch ge- 
wonnene Einsicht, daß in der kunstgewerblichen Erziehung des Handwerks auf deutschem 
Boden schwere Versäumnisse nachzuholen waren. 
Fragt man nun, was in der Entwicklung der Fach- und Fortbildungsschulen die 
Periode von 1888 bis 1913 bedeutet, so ist festzustellen, daß an dem wirtschaftlichen 
Aufschwung, den unser Volk in diesen 25 Zahren erlebt hat, auch das gewerbliche 
Schulwesen teilgehabt hat, aktiv durch seine Mitwirkung bei der Heranbildung tüchtiger 
Hilfskräfte für Werkstatt und Kontor, passiv dadurch, daß von den reichen Mitteln, die 
das aufstrebende Wirtschaftsleben in Umlauf setzte, auch den gewerblichen Schulen ihr 
Teil zufloß. Man kann nicht sagen, daß gerade das Jahr 1888 in der Entwicklung des 
gewerblichen Schulwesens einen Abschnitt bedeutet, gekennzeichnet aber ist die Zeit 
von 1888 bis 1913 dadurch, daß Staat, Gemeinden und wirtschaftliche Verbände in 
gemeinsamer Arbeit das Schulwesen durch Ausbau des Bestehenden und durch zahl- 
reiche Neugründungen gefördert haben. Groß sind die Opfer, die Staat, Gemeinden 
und Körperschaften für die gewerblichen Schulen gebracht haben und Jahr für Zahr 
noch bringen. Denn gute Schulen kosten Geld, aber sie erstatten es zurück in der erhöhten 
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ihrer Zöglinge. 
Die staatlichen, kommunalen und anderen Selbst- 
verwaltungsorgane, die die Gründung und A#us- 
gestaltung gewerblicher Schulen in Angriff 
nahmen, sahen sich vor Aufgaben gestellt, die nicht nur großenteils neu, sondern 
die auch besonders vielgestaltig waren. Handelt es sich doch darum, dem Tischler 
wie dem Schlosser, dem Schneider wie dem Schuhmacher, dem Bäcker und dem 
Fleischer wie dem Friseur und dem Installateur, dem Goldschmied wie dem 
Maschinenbauer, dem Handelslehrling wie dem Laufburschen das Maß von Berufs- 
bildung in schulmäßiger Gestalt darzubieten, dessen sie alle für ihr Fortkommen be- 
dürfen. Suchte man hier die Schulform zu bestimmen, den Lehrstoff abzugrenzen, 
die Lehrer auszuwählen und vorzubereiten, die Lehrmethode zu entwickeln, so gelangte 
man häufig genug auf wenig betretenes Gebiet. Es fehlten hier die tief ausgefahrenen 
Geleise, die die Fahrt zwar eintönig machen mögen, aber die Gewißheit bieten, daß 
man ans Ziel kommt. Es konnte kaum ausbleiben, daß ab und zu der richtige Weg ver- 
fehlt wurde und ein Umkehren nötig war. Diesen Schwierigkeiten konnte in den kleineren 
Bundesstaaten verhältnismäßig am leichtesten begegnet werden, wo es möglich war, 
ohne das Gefüge der Verwaltung zu stören, die Angelegenheiten des gewerblichen Unter- 
richts besonderen Fachbehörden zu übertragen. So wurde in Württemberg der Gewerbe- 
Oberschulrat, in Hessen die Zentralstelle für die Gewerbe, und in Baden das Großherzog-- 
liche Landes-Gewerbeamt errichtet, in dessen Geschäftskreis das gewerbliche Unterrichts- 
wesen eine besonders wichtige Stellung einnimmt. In Preußen dagegen ging es nicht 
an, das gewerbliche Unterrichtswesen den Behörden zu entziehen, denen sowohl das 
Schulwesen wie die Förderung von Handel und Gewerbe anvertraut ist. Die Angelegen- 
heiten des gewerblichen Unterrichts gehören daher zur Zuständigkeit der Regierungs- 
Verwaltung der Fach- und 
Fortbildungsschulen. 
  
  
1130
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.