92 Die Fach- und Fortbildungsschulen. IX. Buch.
fördern, muß sich bewußt bleiben, daß mit jeder Stelle, aus der der Mann verdrängt
wird, den sie bisher ernährt hat, sich auch die Möglichkeit der Familiengründung und
damit die Heiratsaussicht der Frau verringert. Und dennoch dürfen der Frau die Ge-
legenheiten zur Berufsausbildung nicht vorenthalten bleiben, die dem Manne ge-
boten werden. Man beseitigt den Wettbewerb zwischen Mann und Frau nicht dadurch,
daß man die Bedingungen des einen Teils in parteiischer Weise verschlechtert. Für den
Mann ist überdies der Wettbewerb der wenig leistenden und darum schlecht gelohnten
Frau verderblicher als derjenige der gut vorgebildeten und deshalb zu höheren Lohn-
ansprüchen berechtigten Frau.
Pflichtfortbildungsschulen. Eo ist deshalb zu begrüßen, daß wenigstens am
Schluß der Periode von 1888—1913 die Errichtung
von Mädchen-Pflichtfortbilbungsschulen in Fluß kommt. Diese neue Ent-
wickelung hat in ihren ersten Anfängen bereits eine lebhaft erörterte Streitfrage
gezeitigt. Ein großer Verband von Handlungsgehilfen, der mit Besorgnis auf das
zunehmende Eindringen weiblicher Arbeitskräfte in den Handel blickt, fordert, daß
in der Mädchen-Fortbildungseschule ausschließlich hauswirtschaftlicher Unterricht erteilt
werde, um die jungen Mädchen auf den natürlichen Beruf des Weibes als Frau und
Mutter vorzubereiten. Die radikalen Organisationen der Frauen dagegen verlangen,
daß der Fortbildungsunterricht für die jungen Mädchen genau so gestaltet werde wie
für die jungen Männer, mit denen sie in Wettbewerb zu treten haben, daß er also unter
Ausschluß des hauswirtschaftlichen Unterrichts rein fachlich sei. Diesen Standpunkt
haben sich auch mehrere Handelskammern und andere Vertreter des kaufmännischen
Unternehmertums zu eigen gemacht. Bei der Entscheidung dieser Streitfrage muß die
Gesamtheit der Lebensverhältnisse der gewerblich tätigen Mädchen in Betracht gezogen
werden. Nun lehrt die Statistik, daß von den gewerblich tätigen Mädchen der größte
Teil — erfreulicherweise — heiratet. Das Mädchen steht also dem gewerblichen Beruf
von vornherein anders gegenüber als der Mann. Für diesen ist er Lebensinhalt, für
das Mädchen eine Ubergangsbeschäftigung, auch wenn häufig genug an die Frau nach
der Verheiratung die Gelegenheit oder sogar die Notwendigkeit herantreten wird, im
Geschäfte des Mannes oder als Witwe gewerblich tätig zu sein. Fehlt den gewerblich
tätigen Mädchen die Förderung, die der männlichen Zugend die Fortbildungsschule
bietet, so wächst die Gefahr, daß das Mädchen bei minderwertigen Leistungen als Lohn-
drückerin wirkt. Wird die Gelegenheit, die die Fortbildungsschule bietet, nicht benutzt,
bei der weiblichen Zugend die hauswirtschaftlichen Kenntnisse und Fertig-
keiten zu pflegen, so ist vorauszusehen, daß zahllose Mädchen, wenn sie sich ver-
heiraten, nicht imstande sind, eine ordentliche Wirtschaft zu führen, dem Manne ein
nahrhaftes Essen zu bereiten, das Einkommen der Familie verständig einzuteilen, bei
Kinder- und Krankenpflege sachgemäß zu verfahren. Unglückliche Ehen und zerstörtes
Familienleben mit allen ihren für das Volksganze so traurigen Wirkungen sind die
Folge. Soll die Fortbildungsschule einmal eine Berufsschule sein, so bleibt nichts anderes
übrig, als daß sie dem doppelten Beruf der gewerblich tätigen Frau als gewerbliche
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