42 Philologie. X. Buch.
Auch das dunkle Südarabien, die Arabia Felix der Römer, entschleiert sich aller-
dings noch langsam dem Forscherblick. Noch sind es isolierte Inschriften, noch fehlt die
sostematische Ausgrabung, aber schon unterscheiden wir Dynastien, und die Grundlinien
von Religion und Sitte, von Staat und Gesellschaft dieser heute noch unbetretenen Ge-
biete werden uns llar. Ihre Wichtigkeit erhellt aus der geographischen Lage. Zwei
Welten stoßen hier aneinander. Solange man altorientalische Geschichte treibt, in keinem
Zeitraum haben sich die Quellen so überraschend vermehrt wie in dem letzten Viertel-
jahrbundert, und an allen diesen Entdeckungen hat der Kaiser mit der ganzen Be-
geisterungsfähigkeit seiner Natur warmen und energisch fördernden Anteil genommen.
Die Wissenschaft hat noch nicht überall den nötigen Abstand von den Ereignissen gefunden.
Es gibt ja wohl auch nichts Schwierigeres als sicheres Augenmaß gegenüber der Zu-
fälligkeit historischer Informationen. Aber wie breit und wie tief ist die Geschichte des
Altertums geworden von Gudea und Menas bis an die Schwelle des Hellenismus #
Manches wird gewiß Überschätzt. Die übertriebene Wertung babplonischer Einflüsse war
eine Kinderkrankheit, und doch wie weit hat Babylon gewirkt. Wie anders sieht die
neueste Geschichte des Altertums aus, wenn man sie mit den besten Werken vor 25 Zahren
vergleicht ! Und eine freudige Hoffnung schwebt über unserer Arbeit. Wir stehen erst am
Anfang einer wirklichen Erschließung des orientalischen Altertums!
Was im Vorangehenden zusammengefaßt ist, stellt sich in der Wirklichkeit als eine
Fülle von Sonderwissenschaften dar, die kein Einzelner mehr philologisch zu beherrschen
vermag. Ganz unübersehbar wird aber das Material, wenn wir in die hellenistische und
römische Zeit eintreten, die hier ausgeschlossen werden muß, und wenn wir dann weiter
den christlichen und islamischen Orient des MNittelalters und der Neuzeit ins
Auge fassen. Sprach- und Kulturkreise decken sich hier nur selten, und es ist fast ummög-
lich, das bunte Leben, das hier in den letzten 25 Jahren geherrscht hat, in logisch an-
einanderreihbare Schlagworte zu fassen. IZm Mittelpunkt der philologischen Betrachtung
steht das Arabische. Die Gründung einer wirklich exakten philologischen Methode durch
Fleischer lag bereits vor 1888, aber Fleischers Einfluß war so groß, daß sich die Forschung
erst ganz allmählich von dem aueschließlich grammatischen Interesse freimachen konnte.
Die Arabistik entwuchs der arabischen Schulweisheit, immer energischer wurde die lebende
Sprache herangezogen, und von der Dialektforschung aus dämmert jetzt ein neuer Tag.
Zwar sind wir noch weit entfernt von einer historischen Grammatik auch nur des
Arabischen; auch der Wandel der Literärsprache in den bald anderthalb Jahrtausenden
ihres Bestehens ist noch völlig ununtersucht, aber wieviel wichtige Detailarbeit ist nicht
Überall geleistet! Die Entwicklung war nicht auf das Arabische beschränkt; im Ara-
mäischen — klassische Grammatiken des Syrischen und Mandälischen brachten wir schon in
unsere Periode mit binein —, im Atbhiopischen, überall der gleiche Prozeß, neue
Dialekte, neue semitische Sprachen werden uns erschlossen, und auf phonetischer Basis
sehen wir langsam eine wirkliche semitische Sprachwissenschaft erstehen.
Auch auf den nichtsemitischen Sprachgebieten des Orients regt sich ein neuer
.Geist, aber der Ausbau des Türkischen, Persischen und Armenischen leidet in Deutschland
an der geringen Zahl der Arbeiter. Die stiefmütterliche Behandlung dieser Sprachen an
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