Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

B. Indien, Mittel- und Ost-Asien 
Von Prof. Dr. O. Franke, Hamburg 
Die Politik hat nach den Erklärungen ihres größten Meisters mit der Wissenschaft 
wenig gemein, aber Wechselwirkungen zwischen beiden haben oft genug stattgefunden, 
und die Ergebnisse sind glänzende gewesen. Indien, Mittel- und Ostasien legen Zeugnis 
dafür ab, denn hier hat die Politik der großen Kolonialmächte die Unterstützung, die 
sie von der Wissenschaft empfangen, reichlich zurückgezahlt, indem sie bekannte Wissens- 
gebiete stärker befruchtet, andere, und zwar solche von unabsehbarem Umfange, neu 
erschlossen hat. Die englische Herrschaft in Indien und ihre Unternehmungen gegen 
Tibet, die russischen Bestrebungen in Turkistan und der Mongolei, die französische 
Ausdehnung in Zndo-China und Siam, vor allem aber die diplomatischen und 
kriegerischen Unternehmungen des Abendlandes und Japans in China und Korea 
haben den Kreis der orientalischen Wissenschaften ungeheuer erweitert. Deutschland 
hat, seiner geographischen Lage entsprechend, an diesen Vorgängen nur einen beschei- 
denen Anteil gehabt, aber seiner Wissenschaft sind reiche Anregungen dadurch gegeben 
worden. Bedeutungevoll hebt sich vor allem die Tatsache ab, daß die deutsche orien- 
talische Forschung weit mehr als früher aus dem Studierzimmer heraustritt, in 
größerem Maße am „Objekt“ arbeitet und so in engere Fühlung mit dem Leben von 
einst und jetzt gelangt. Unzweifelhaft ist dies eine Folge der stärkeren weltwirtschaft- 
lichen und weltpolitischen Geltung des Reiches, die ja in erster Linie der Wirksamkeit 
Kaiser Wilhelms II. zu danken ist; die deutsche Orientalistik hat dadurch endlich gelernt, 
weniger für fremde und mehr für eigene Rechnung zu arbeiten. 
In Indien hat zwar dieses nationale Aufssich-selbst-besinnen die Folge gehabt, 
daß die Betätigungsmöglichkeiten für deutsche Gelehrte dort erheblich geringer ge- 
worden sind — sicherlich nicht zum NRutzen der wissenschaftlichen Indologie —, aber dafür 
haben diese sich daheim um so wirksamer an der Bearbeitung des neuen Materials be- 
teiligt, das namentlich durch die Tätigkeit des englischen Archaeological Department 
und des Linguistic Survey von Indien geliefert wird. Eine große Zahl von Inschriften 
aus allen Teilen des Landes ist in sorgsamer Weise herausgegeben und übersetzt worden, 
und sie haben durch ihre oft überraschenden Aufschlüsse der einheimischen Uberlieferung 
wieder zu größerem Ansehen verholfen, nachdem man ihr allzu lange und allzu rasch 
die Glaubwürdigkeit versagt hatte. Die Archäologie hat größere Hoffnungen erweckt 
für die Aufhellung der indischen Geschichte, als das bloße Studium der Literatur sie 
bis dahin erfüllt hatte, und wenn auch dem Spaten in Indien noch die größten Auf- 
gaben bevorstehen, so ist ihm doch schon manches gelungen: die Grabungen in Nepal- 
haben Inschriften ans Licht gebracht, durch die die Geburtsstätte Buddhas festgestellt 
werden konnte, im Jahre 1898 fand man bei Piprähpa an der Südgrenze von Nepal 
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