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geschichte und Musikwissenschaft aufs glücklichste vereinigte, stets einen und den andern der
Unfsrigen für dies Gebiet gerüstet zu wissen und auf ihm tätig zu sehen. Eigentüm-
lich steht es mit der mittelalterlichen Realien, insbesondere den Haus- und Kriegsalter--
tümern. Hier war Moriz Heyne (gest. 1. März 19060) nach Wilhelm Wackernagels Tode die
erste Autorität, eine berufenere als Alwin Schultz, und er wirkte stark auf seine Schüler:
diese aber sind vielfach Museumsbeamte geworden und halten die Beziehungen zur
Sprachphilologie nur zum lleinen Teil aufrecht. Doch eröffnet sich uns von zwei Seiten
die Aussicht, daß die notwendige Fühlung wieder erstarken wird: die vorgeschichtliche
und frühgeschichtliche Forschung üben auch auf die Germanisten eine starke Anziehungs-
kraft, und daß die Sprachwissenschaft ihrerseits auf die Kenntnis der Realien nicht länger
verzichten will, zeigt die Begründung der Zeitschrift „Wörter und Sachen“ (1909).
Mit der Geschichtswissenschaft im engern Sinne, der politischen und der Wirtschafts-
geschichte, sind die Beziehungen von vornherein nur lose gewesen, und wenn unser Alt-
meister JZacob Grimm sowohl 1819 bei der „Gründung der Gesellschaft für Deutschlands
ältere Geschichtskunde“ durch den Freiherrn von Stein, wie 1858 bei der Errichtung
der „Historischen Kommission“ durch den König Maximilian II. von Bayern herangezogen
wurde, so geschah es hauptsächlich, weil man den Beirat und die direite Mitarbeit
der Germanisten bei Herausgabe der Geschichtsquellen nicht entbehren mochte. In
der Tat sind die „Deutschen Chroniker“ der Monumenta Germaniae historica in der
Mehrzahl von deutschen Philologen bearbeitet worden, aber auch bei andern Editionen,
nicht nur in deutscher Sprache, wäre Ausrüstung oder Nat des Germanisten öfter nötig
gewesen, als man es erkannt und zugestanden hat.
Während die Würdigung ausgewählter Denkmäler der lateinischen Dichtung des
Mittelalters naturgemäß früh den Germanisten zufiel (Jacob Grimm und Schmeller),
andere den Historiker anziehen mußten (Köpke, Wattenbach, Dümmler), ist die eigentliche
Begründung einer mittellateinischen Philologie von den klassischen Philologen Wilhelm
Meper aus Speper und Ludwig Traube (gest. 19. Mai 1907) ausgegangen. HOie per-
sönlichen Beziehungen sind allezeit die besten gewesen, die wissenschaftliche Fühlung hin-
über und Herüber könnte wohl reger und intimer sein.
Wenn bier überall mehr oder weniger von einer anerkannten und zum Teil not-
gedrungenen Einschränkung des weiten Arbeitsfeldes die Rede war, das im Vergleich
etwa mit der klassischen eine germanische Altertumswissenschaft in Anspruch nehmen
könnte, sind andere Zweige der Wissenschaft von deutscher Sprache und deutschem Volks-
tum gerade in den letzten fünfundzwanzig Zahren zu einer mächtigen Blüte gediehen
und haben aus den Kreisen der Gelehrten wie der Dilettanten Scharen von Jüngern
und Hilfskräften herangezogen.
Karl Weinhold (gest. 15. August 1901), einer der letzten und gewiß der treueste
Schüler Zacob Grimms, hat das Elück gehabt, im letzten Jahrzehnt seines Lebens, seit
der Begründung der Gesellschaft für Deutsche Volkskunde, deren Zeitschrift 1891
zu erscheinen begann und heute von Joh. Bolte, dem ausgezeichneten Märchenforscher,
geleitet wird, einen Aufschwung des Interesses an Glaube und Brauch, Sage und Sitte,
Märchen und Lied zu erleben, der ein früh gehegtes Zdeal für ihn verwirklichte: eine neue,
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