Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
54 Philologie. X. Buch. 
  
lange vorbereitet, Hermann Fischer ans Licht gebracht hat. In zwei stattlichen Bänden 
ist ein „Wörterbuch der Elsässischen Mundarten“ von Ernst Martin (gest. 13. August 
1910) und Heinrich Lienhart schon 1907 zum Abschluß gebracht, 1908 begann, von 9. 
Schullerus geleitet das „Siebenbürgisch-Sächsische Wörterbuch“ zu erscheinen; Idiotiken 
des ODeutsch-Lothringischen und des Deutsch-Luxemburgischen liegen vor, von 
kleineren Sammlungen nicht zu reden, und mehr als ein Dutzend größerer Unter- 
nehmungen sind gegenwärtig im Werke, allen voran das auf breitester Basis der gesamten 
Volkskunde aufzubauende neue Baxrisch-Osterreichische Wörterbuch, dem Zos. Seemüller 
die tüchtigsten seiner Schüler zuführt. 
Oie Lezikographie nimmt überhaupt gegenwärtig eine große Anzahl älterer und 
jüngerer Kräfte in Anspruch. Durch das bervorragende Geschick, mit welchem Friedrich 
Kluge in seinem „Etomologischen Wörterbuch“ auf engem Raume eine Fülle von Tat- 
sachen und Vermutungen zur Wortdeutung vorlegte, ist das Ansehen und der Glaube 
an die Etymologie stark angewachsen, obwohl der Verfasser selbst, wie vor allem seine 
„Zeitschrift für deutsche Wortforschung“ (seit 1901) zeigt, mehr und mehr den Akzent auf 
die Wortgeschichte legt. Der Wortgeschichte in erster Linie dient auch das „Deutsche 
Wörterbuch' der Brüder Grimm, das, durch Todesfälle und andere widrige Umstände 
vielfach gehemmt, in den letzten Jahren in rascherem Tempo dem Abschluß entgegen- 
schreitet, nachdem das Deutsche Reich die Kosten der Weiterführung großenteils auf sich 
genommen und der „Deutschen Kommission" die Fürsorge und Oberaufsicht über das Unter- 
nehmen übertragen hat, für das in Göttingen eine Zentralsammelstelle eingerichtet wurde. 
Berlin hat zu allen Zeiten für die Wissenschaft von deutscher Sprache und Literatur 
seine Bedeutung gehabt: von Z. Vorstius, dem Bibliothekar des Großen Kurfürsten, ab 
bis auf Müllenhoff und Scherer und ihre Nachfolger. Die älteste gelehrte Korporation 
der Hauptstadt freilich, die Königl. Preußische Akademie der Wissenschaften, hat die 
Germanisten wohl als geschätzte Mitglieder ausgenommen, aber größern Unternehmungen 
auf dem Gebiete unserer Wissenschaft sich lange versagt; es war eine Ausnahme, als das 
mächtige vierbändige Korpus der „Althochdeutschen Glossen“ von Elias Steinmeyer 
und Eduard Sievers (1879ff.) mit ihrer Unterstützung ans Licht trat. 
Das ist anders geworden unter der Regierung Sr. Majestät des Kaisers und 
Königs Wilhelms II., insbesondere seit dem Jubiläum der Akademie im Jahre 1900, 
das recht eigentlich einen Jubeltag für die Wissenschaftsgebiete der deutschen Sprach- 
kunde, Literaturgeschichte und Altertumswissenschaft bedeutet. Drei neue akademische 
Stellen wurde für ihre Vertreter begründet, und von den reichen Mitteln, die für wissen- 
schaftliche Aufgaben und Zwecke ausgeworfen wurden, erhielten die deutschen Studien 
einen beträchtlichen Anteil zugewiesen. Eine ganze Reihe von neuen, zum Teil umfassenden 
Unternehmungen sind von der „Deutschen Kommission“ entweder direkt ins Leben 
gerufen oder unterstützt worden. Der mundartlichen Lexikographie greift sie tatkräftig unter 
die Arme im Osten und im Westen der Monarchie; in großen kritischen Ausgaben legt sie 
die Werke Wilhelm von Humboldts und Wielands vor und läßt weitere Leistungen ähn- 
licher Art erhoffen; sie ermöglicht die weitausgreifenden Forschungen Konrad Burdachs zur 
Geschichte der deutschen Bildung, die unter dem Titel „Vom Mittelalter zur Reformation“ 
1198
	        
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