62 Philologie. X. Buch.
spãteren Ursprungs sind und durch Vermittelung der Klerisei an gewissen Wallfahrts-
orten ihren Ursprung gefunden haben. Auch die Frage des Ursprungs der Artussage,
der Originalität Chrestiens und seiner Stellung zur keltischen Volksliteratur hat großen
Staub aufgewirbelt. Berühmt sind die Fehden, die Wendelin Foerster mit französischen
und deutschen Gelehrten darob ausgefochten hat. Za, wir stehen noch mitten im Kampfe,
in voller Rüstung stürzen die Gegner wutentbrannt aufeinander, das Schlachtgeschrei
erhebt sich hüben und drüben, Lanzensplitter fliegen hin und her, und wem von den
tapfern Artuskämpen der Sieg zufallen wird, steht noch dahin.
Die Erfolge emsiger Einzelarbeit ermutigten die Forschung in unserm Zeitraum
auch an die Darstellung der ganzen altfranzösischen Literatur heranzugehen.
Gröber bot in seinem Grundriß die sorgfältigste und erschöpfendste Geschichte altfran-
zösischen Schrifttums, die wir besitzen. Das Bild mittelalterlichen Geisteslebens in Frank-
reich vervollständigte er durch seine lateinische Literatur. Suchier schrieb für das größere
gebildete Publikum seine geistvolle und elegante, auf gründlicher Kenntnis beruhende
Literatur der Altfranzosen und Provenzalen. Voretzsch bot den Studenten in seiner
„Einführung“ ein willkommenes und zuverlässiges Handbuch. In Stimming fand die
provenzalische, in Baift die spanische Literatur glückliche Bearbeiter.
Früher hatte man oft der seltsamen Ansicht gehuldigt, daß die neuere Zeit vom
16. Jahrhundert ab der wissenschaftlichen Forschung nicht wert sei. Literaten und
Schöngeister mochten sich damit beschäftigen, für ernste Gelehrtenarbeit war das Mittel-
alter da. Immer mehr bricht sich glücklicherweise die Ansicht Bahn, daß diese Anschauung
durchaus verkehrt ist, und die neuere Zeit der wissenschaftlichen, gründlichen Durcharbei-
tung nicht bloß wert ist, sondern daß es eine heilige Pflicht der Romanistik ist, gerade die
Zeiten, in denen die romanischen Literaturen für das Geistesleben der Menschheit das
Größte getan haben, einer ganz eingehenden und gewissenhaften philologischen Prü-
fung zu unterziehen. Auch hier fehlte es nicht an Einzeluntersuchungen. Rabelais und
die Renaissanceliteratur, Moliè#r#, die Großen und Kleineren des Blütezeitalters, Vol-
taire und Rousseau, einzelne Dichter des neunzehnten Zahrhunderts wurden von den
einen und andern Gelehrten unter die Lupe genommen. Sei es, daß die einen die poe-
tische Gattung und ihre Geschichte, sei es, daß die andern eher die Persönlichkeit, ihren
Charakter, ihr Verhältnis zu andern Dichtern, ihre Eigentümlichkeiten mehr berück-
sichtigten, sei es, daß diese Untersuchungen in Zeitschriftenartikeln oder in Büchern er-
schienen, jedenfalls legten sie das Zeugnis ab, daß Deutschland nicht zurückbleiben will,
wenn es gilt, den Anteil der romanischen Literatur an der Entwickelung moderner Zeiten
zu untersuchen und darzustellen. Und auch hier begleitete die Darstellung größerer Zeit-
räume die Einzeluntersuchung. Morf gab eine glänzende, an prägnanten Charakter-
bildern reiche Literatur des 16. Jahrhunderts, Birch Hirschfeld, der dieselbe Zeit zu-
erst darzustellen begonnen hatte, bot eine vollständige Geschichte der neueren französi-
schen Literatur vom 16. Jahrhundert an bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts.
Auch die italienische Literatur fand Bearbeiter. Freilich wurde leider Gasparps geist-
volle Geschichte nicht weiter geführt, aber Dante und seine Vorläufer fanden in Voßler
einen Gelehrten und Künstler, der sie den Gebildeten in ebenso gediegenen wie kunst-
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