Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
84 Mathematik. NX. Buch. 
  
deutschen Forscher aus der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, Rie mann und Weier- 
straß. Die Notwendigkeit der Strenge in der Beweiesführung, die Weierstraß 
gefordert hatte, wurde in allen Gebieten der Analpysis anerkannt. Sein Nachfolger H. A. 
Schwarz auf dem Lehrstuhl der Berliner Universität, der in seinen vor 1888 veröffent- 
lichten Arbeiten Muster solcher Schärfe geliefert hatte, schult seine Schüler mit uner- 
müdlichem Eifer in dieser Beziehung. In der Reihentheorie gab besonders A. Prings- 
heim den Ton an für die subtilsten Untersuchungen. Der Einfluß dieser strengen Nich-- 
tung machte sich überall im Auslande geltend; doch müssen wir uns mit dieser Andeutung. 
begnügen. 
Schule von Riemann. In Riemannscher Weise mit einem Einschlage nach der 
Felir Klein. Seite der formalen Algebra gingen Carl Neumann und 
Clebsch sowie des letzteren Freunde und Schüler Gordan, 
F. Klein, Brill, Noether und andere vor. Der klassische Bericht von Brill und 
Nobether über die Entwicklung der Theorie der algebraischen Funktionen in älterer und 
neuerer Zeit (1894) ist ein Muster objektiver historischer Darstellung, die allen Forschungs- 
methoden gerecht wird. Der außerordentliche Einfluß, den F. Klein ausgeübt hat, 
tritt in den Veröffentlichungen seiner Universitätsvorlesungen zutage. Vollendete 
Durcharbeitung besitzen seine Vorlesungen über elliptische Modulfunktionen (2 Bände), 
1890 u. 1892) und über die allgemeine Theorie der automorphen Funktionen (2 Bände, 
1897 u. 1901—1911). In beiden Werken, besonders aber in dem zweiten hat der Bearbei- 
ter R. Fricke durch selbständige Ergänzungen vorhandene Lücken ausgefüllt und 
für Abrundung des Ganzen Sorge getragen. In ähnlicher Weise ist das Werk über 
die Theorie des Kreisels entstanden (vier Teile, 1897—1910), von welchem A. Sommer- 
feld den letzten Teil überhaupt selbständig unter Heranziehung von Fr. Noether als 
Mitarbeiter verfaßt hat. Uber den Kreis der unmittelbaren Zuhörer hinaus wirkte 
F. Klein durch die Verbreitung seiner autographierten Vorlesungshefte: Nichteuklidische 
Geometrie (2 Hefte, 1889/90). Höhere Geometrie (2 Hefte, 1892/93). Riemannsche 
Flächen (2 Hefte, 1891/92). Uber die hypergeometrische Funktion (1893/94). Lineare 
Differentialgleichungen der zweiten Ordnung (1894). Ausgewählte Kapitel der Zahlen- 
theorie (1895/90). Anwendung der Differential- und Integralrechnung auf Geometrie, 
eine Revision der Prinzipien (1901). Elementarmathematik vom höheren Standpunkte 
aus (2 Teile, 1908/09). Angesichts der Masse dieser Schriften müssen wir es uns versagen, 
die Anregungen zuc charakterisieren, die von diesem vielseitigen, begnadigten, rührigen 
Lehrer und Forscher ausgegangen sind. 
  
  
Oie nachhaltige Wirkung des Weierstraßschen Geistes 
ist in der zu behandelnden Zeit auf dem Gebiete der 
Funktionentheorie überall erkennbar, in keinem Zweige 
aber wohl deutlicher als in der Bariationsrechnung, obschon die von Weierstraß hierüber 
gehaltenen Vorlesungen, die die alleinige Quelle für seine Theorie bilden, leider noch 
immer nicht herausgegeben sind. Im Sinne der Weierstraßschen Forderungen hat 
Variationsrechnung. 
Schule von Weierstraß. 
  
  
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