Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
X. Buch. Physikalische Chemie. 170 
  
gebnisse wirkten im Gesamtgebiet hauptsächlich der anorganischen und der ana- 
lpytischen Chemie teilweise fundamental umgestaltend; eine Anzahl bekannter, aber 
allgemein nicht recht deutbarer Erscheinungen wurden aufgeklärt und sogar duanti- 
tativer Berechnung zugänglich. So gab, um nur ein Beispiel anzuführen, Arrhenius 
(1890), ausgehend von der durch Kohlrauschs Arbeiten festgestellten Tatsache, daß das 
Wasser selbst ein allerdings sehr schwach zerfallener Elektrolpt ist, eine die Erscheinungen 
der Salzhydrolpse vollständig erklärende umfassende Theorie. Die grundlegende Zahlen- 
konstante dieser Theorie, der Dissoziationsgrad des Wassers, fand sich im Experiment 
auf den verschiedensten ganz unabhängigen Wegen, aus der direkt gemessenen Leitfähig- 
keit des Wassers (Kohlrausch und Heydweiller 1894), aus der Esterifikationsgeschwin- 
digkeit im reinen Wasser (Wijs 1893), aus der elektromotorischen Kraft der Säure-Al- 
kalikette (Ostwald 1893) und aus der Salzhydrolpse selbst (Arrhenius 1893, Kanolt 
1902) der Höhe nach vollständig übereinstimmend. Eine überraschend glänzende Bestä- 
tigung der ganzen Theorie der elektrolytischen Oissoziation. 
Wie die eingehenden Untersuchungen Ostwalds (1888) 
ergaben, erhält man aus den an schwächeren Säuren 
in verschiedenen Verdünnungen experimentell er- 
mittelten Oissoziationsgraden, unter gleichzeitiger Anwendung des Massenwirkungsge- 
setzes von Guldberg und Waage auf das in den Säurelösungen bestehende elektrolp- 
tische Gleichgewicht, auf rechnerischem Wege eine Konstante, deren von der wechselnden 
Verdünnung unabhängiger Zahlenwert die betreffende Säure ihrer Stärke und Reak- 
tionsfähigkeit nach völlig charakterisiert. Diese „Affinitätskonstante“ der Säure — und 
das gleiche hat Bredig 1894 für Basen dargetan — hängt ihrer Größe nach enge zu- 
sammen mit dem Aufbau der Elektrolytmolekel. Die Arbeiten Ostwalds und später 
Wegscheiders (1902) erweisen die Zahlenwerte dieser Konstante als so unveränderlich 
verknüpft mit der Art der in den betreffenden Körpern vorkommenden Atomgruppen, 
daß von Säuren oder Basen, die nicht experimentell gemessen, unter Umständen sogar 
nicht einmal dargestellt sind, wofern man nur Einblick in ihren chemischen Aufbau hat, 
ohne weiteres chemische Stärke und Reaktionsfähigkeit, und zwar ziffermäßig aus- 
gedrückt, mit Hilfe jener Zahlenwerte sicher sich voraussagen lassen. 
Affinitätskonstante und 
Körperkonstitution. 
  
  
Unmittelbar mit der Lehre vom osmotischen Oruck 
und der Oissoziationstheorie hängt eine andere Theo- 
rie zusammen, die auf ihrem Sondergebiete, der Um- 
wandlung chemischer Energie in elektrische, einschneidenden Einfluß geübt hat, die von 
Nernst 1889 aufgestellte osmotische Theorie des galvanischen Elementes. Allerdings ver- 
fügte die Wissenschaft bereits über die Helmholtzsche thermodpynamische Theorie; diese 
lehrte, wie aus einem thermischen Werte, der Wärmetönung des in der galvanischen Kette 
sich abspielenden chemischen Vorgangs, und aus dem Temperaturkoeffizient der Element-- 
spannung die elektromotorische Gesamtkraft des Elementes, also seine verfügbare elektrische 
Energie, sich berechnen läßt. Es fehlte aber eine speziell chemische Theorie, die unter Zer- 
Osmotische Theorie der gal- 
vanischen Stromerzeugung. 
  
  
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