Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
X. Buch. Zoologie. 195 
Tatsachen ergeben. Gewiß wird ein solches durch die Morphologie, Vergleichende 
Anatomie und Entwicklungsgeschichte unterstütztes Studium der Tiere dauernd 
stattfinden müssen und stets notwendig sein, um so mehr als unsere Kenntnis der Tier- 
formen durch die Tätigkeit in den genannten Wissenszweigen einem steten Wechsel und 
einer steigenden Vervollkommnung unterworfen ist. Untersuchungen auf spstematischem 
Gebiet sind also ganz unentbehrlich und ungemein schätzenswert, was aber nicht ver- 
hindert, daß man ihnen zu unserer Zeit längst nicht mehr das gleiche Interesse wie früher 
entgegenbringt, wenn dieses auch durch Funde eigenartiger Tierformen, wie sie uns 
durch Expeditionen nach unerforschten Ländern oder aus der Tiefe des Weltmeers zu- 
gänglich wurden, gelegentlich wieder auflebt; es sei nur an das im Jahre 1900 am Kongo 
entdeckte giraffenähnliche Okapi oder an die höchst abenteuerlich gestalteten Tiesseefische 
und andere Tiefseetiere erinnert, wie sie die marinen Expeditionen in größerer Zahl 
und verschiedener Form kennen lehrten. 
Derartige besonders in die Augen fallende Entdeckungen wie die Tatsache des Eier- 
legens bei Säugetieren (Monotremen-Kloakentieren), das Auftreten einer Plazentaz 
bei Beuteltieren oder andere hier nicht besonders namhaft zu machende Funde auf dem 
Gebiet der Vergleichenden Anatomie und Entwicklungsgeschichte rufen gelegentlich 
das Interesse in etwas höherem Maße wieder wach, als es für diese Wissenszweige augen- 
blicklich vorhanden ist. Freilich möchten wir in dieser Beziehung nicht falsch verstanden 
und etwa einer Geringschätzung der sostematisch-morphologischen und entwicklungsge- 
schichtlichen Richtung schuldig befunden werden. Im Gegenteil liegt uns daran, zu be- 
tonen, daß gerade auch in dieser Hinsicht die moderne Zoologie durch fortgesetzte, uner- 
müdliche #Arbeit Ausgezeichnetes geleistet und die Kenntnis der tierischen Organisation 
andauernd gefördert hat. Ohne diese Arbeitsleistung würden übrigens viele der im fol- 
genden zu charakterisierenden Erkenntnisse kaum erreichbar gewesen sein. 
Wie es hier ganz unmöglich ist, den Errungenschaften der Sostematik, Vergleichen- 
den Anatomie und Entwicklungsgeschichtte auch nur einigermaßen gerecht zu werden, so 
gilt dies in ähnlicher Weise für die mehr oder weniger mit jenen zusammenfallenden 
Ergebnisse in den einzelnen Abteilungen des Tierreichs. 
Eines dieser Gebiete muß jedoch herausgegriffen werden, weil 
die auf ihm gemachten Fortschritte besonders große sind und 
die gewonnenen Resultate sich als von sehr weittragender Bedeutung erwiesen. Das 
ist die allmählich zu einem eigenen Zweig unserer Wissenschaft gewordene Protozoo- 
logie, die Lehre von den einzelligen Tieren. Für sie war begreiflicherweise der noch zu er- 
wähnende Aufschwung der Zellenforschung von sehr eingreifender und fördernder Be- 
deutung. Nicht nur ihr Bau im allgemeinen, sondern auch derjenige ihrer Kerne und 
vor allem deren Verhalten bei der Fortpflanzung konnte jetzt genauer studiert und einem 
besseren Verständnis entgegengeführt werden; es sei nur an die hervorragenden Unter- 
suchungen von Bütschli, R. Hertwig und Schaudinn erinnert, um die Namen 
einiger besonders hervorgetretener moderner deutscher Zoologen zu nennen. Aber nicht 
nur die Kenntnis der Protozoen selbst und damit diejenige der Zellorganisation und 
Proto zoologie. 
  
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