X. Buch. Inmere Medizin. 221
wöhnlich erfolgreichen Forscherlebens die volle Genugtuung, daß seine Ansicht gegen-
über der seiner wissenschaftlichen Gegner zu Recht bestand.
Die neurologische Diagnofstik ist so ausgebaut, daß sie zu einer der sichersten in der
Medizin zu rechnen ist. Die deutsche Neurologie hatte durch Männer, wie Friedreich,
Erb, Leyden, Westphal, Strümpell, Wernicke, Lichtheim u. a. die Führung in
der Welt.
Richt minder groß sind die Fortschritte der Kinderheilkunde. Die Krankheiten
des Säuglingsalters sind mit solchem Erfolg studiert worden, daß die Lehre von der Er-
nährung des Kindes (Heubner, A. Czerny) eine neue Wissenschaft geworden ist, wodurch
in erster Linie die Pädiatrie zu einem voll und ganz anerkannten besonderen Fach in
der Medizin geworden ist.
Durch Erkennung der „Nährschäden“, durch Einschränkung der Infektionsmöglich-
keit durch Milch, gelang es, die Säuglingssterblichkeit beträchtlich herabzudrücken. Es
gehört zu Durchführung der notwendigen Maßnahmen eine großzügige Organisation,
welche in Deutschland an vielen Orten mustergültig durchgeführt ist, an vielen anderen
im Entstehen begriffen ist.
Groß sind auch die Fortschritte in der Lehre von der Spphilis, den Hautkrankheiten,
der Rhinologie, Larpyngologie, Otiatrie u. a., überall herrscht reges Leben. Die von
vielen so beklagte Spezialisierung hat sich vielfach glänzend bewährt und wird sich nicht
aufbalten lassen; wenn die wissenschaftliche Grundlage und die Organisation der Arbeit
eine gute ist, wird ihr NRutzen stets größer sein als ihr Schaden.
Wie sehr die Organisation der Forschung heute von Bedeutung ist, hat sich bei einer
der bekanntesten Entdeckungen von Ehrlich gezeigt, der Einführung des Salvarsans
gegen die Syphilis. Ebenso bewunderungswert wie die Auffindung und experimentelle
Durchprüfung des Mittels war die gradezu großartige Organisation bei Durchführung
der Versuche an kranken Menschen; mit schier unglaublicher Energie gelang es in einer
verhältnismäßig kurzen Zeit ein sicheres Mittel gegen die Syphilis in seiner Wirkungen
auszuprobieren, wozu früher ein Zahrzehnt und mehr gehört hätte. Ehrlich hat die
experimentelle Therapie in neue verheißungsvolle Bahnen gelenkt; der Begriff der
Chemotherapie bezaubert Arzte und Laien und macht sie häufig vor der Zeit zu übermäßi-
gen Optimisten. Wenn aber die planmäßige, zuverlässige, kritische Arbeit des Labora-
toriums sich mit der gewissenhaften Beobachtung und Erfahrung am Krankenbette ver-
bindet, dann muß es gelingen der leidenden Menschheit neue Waffen zu schmieden im
Kampfe gegen Siechtum und Krankheit; so ist Hoffnung vorhanden, daß der jetzt mit so
viel Energie und Begeisterung ausgenommene Kampf gegen die Tuberkulose, gegen
die Geschlechtskrankheiten, gegen den Alkoholismus, gegen den Krebs, die größ-
ten Feinde des Mencschengeschlechts, siegreich vorwärts gehen wird.
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