X. Buch. Die Entwicklung der Chirurgie. 233
zum Rippenbogen vollkommen gefühllos geworden ist. Da diese Anästhesie 1—2 Stun-
den anhält und den ganzen Körperquerschnitt betrifft, so können in dem genannten
Bereich die größten Operationen ohne die geringste Schmerzempfindung ausgeführt
werden. Für große Eingriffe an den unteren Extremitäten und im Becken ist die
Methode, deren Gefahren und unangenehme Nachwirkungen durch eine sorgfältig aus-
gebildete Technik jetzt sehr herabgemindert sind, ganz besonders geeignet; es gibt
heute eine beträchtliche Zahl hervorragender Frauenärzte, die sich für große gynaäkolo--
gische Operationen keines anderen Anästhesierungsverfahrens mehr bedienen.
Die epochemachendste Entdeckung, welche das letzte Vierteljahr-
hundert der Medizin gebracht hat, ist zweifellos die der Rönt-
genstrahlen. Am Ende des Zahres 1895 gab der Würzburger Phosiker Konrad KRönt-
gen seine Forschungen „Uber eine neue Art von Strahlen“ bekannt. Oie Begeisterung,
welche sein Vortrag in der denkwürdigen Sitzung der physikalisch-medizinischen Gesell-
schaft zu Würzburg am 23. Januar 1896 hervorrief, verbreitete sich rasch über die
ganze zioilisierte Welt, und sofort tauchte auch der Gedanke auf, daß es sich bier nicht
nur um eine der bedeutungsvollsten phpsikalischen Entdeckungen handle, sondern daß auch
die Medizin von ihr den größten ANutzen davontragen werde. Röntgen antwortete in
jener Sitzung auf eine diesbezügliche Frage des großen Anatomen Kölliker, er müsse
die Verwertung für die Medizin vertrauensvoll in die Hände der Arzte legen. Sein
Vertrauen hat ihn nicht getäuscht, denn mit einem Eifer ohnegleichen haben sich die
Arzte des neuen Verfahrens angenommen und, wie die Entdeckung selbst aus deutschem
Geiste entsprungen ist, so ging auch von Deutschland die Bewegung aus, welche eine
ganz neue Wissenschaft auf Röntgens Entdeckung gegründet und über alle Länder
verbreitet hat.
Kadiotherapie.
Röntgenstrahlen.
Die Perspektiven, welche sich bei Bekanntwerden der neuen
Strahlenart für die Medizin eröffneten, sind weit hinter der
Wirklichkeit zurückgeblieben, denn das Verfahren hat sich nicht nur als ein diagnostisches
Hilfsmittel allerersten Ranges erwiesen, sondern die Strahlen haben sich auch als Träger
ganz unerwarteter, für die Behandlung mannigfacher Leiden brauchbarer Eigenschaften
herausgestellt. Ja es scheint fast, als solle die Radiotherapie, jener von den Röntgen-
strahlen ausgegangene neue Zweig der Heilkunde, berufen sein, den Jahrhunderte alten
Traum der Menschheit von einem wirksamen Krebsheilmittel der Erfüllung näher zu
bringen. «
DutchdieRöntgenologie,welcheheuteinSpezialstudiumerfordertundvonbe-
sonderen Gesellschaften auf eigenen Kongressen gepflegt wird, während ihre technische
Seite in dauerndem Fortschreiten begriffen ist, sind fast alle Zweige der theoretischen
und praktischen Medizin befruchtet worden. Ihre außerordentliche Bedeutung für die
Chirurgie ergibt sich daraus, daß die Lehre von den Knochen- und Gelenkkrankheiten, von
den Knochenbrüchen und Verrenkungen auf eine gänzlich veränderte Basis gestellt wor-
den ist, daß die Diagnostik der Erkrankungen der Schädel-, Brust- und Bauchhöhle
bedeutend vervollkommnet werden konnte, daß die Behandlung der chirurgischen Haut-
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