X. Buch. Die Entwicklung der Chirurgie. 243
Aufdie außerordentliche Entwickelung der Kehlkopfheilkunde kannhier nur kurzver-
wiesen werden, hat sich doch dieser Zweig der Chirurgie in den letzten Dezennien zu einem
Sonderfache entwickelt, welches heute auf fast allen deutschen Universitäten durch eigene
Kliniken und Lehrinstitute vertreten ist. War eine eigentliche Larpngologie erst durch
die Entdeckung des Kehlkopfspiegels möglich geworden, so ist inzwischen die Beleuch-
tung auch anderer innerer Organe vom Munde aus weitgehend gefördert worden. Die
durch v. Mikulicz eingeführte Oesophagoskopie ist uns heute ein unentbehrliches Hilfs-
mittel zur Diagnostik von Erkrankungen der Speiseröhre, zur Entfernung der in ihr
steckengebliebenen Fremdkörper, und wird als Gastroskopie auch für die Beleuchtung
des Mageninneren verwertet, während Killians Bronchoskopie (1898) die Einführung
des Tubus durch die Luftröhre bis in die großen Bronchien und somit die Entfernung von
Fremdkörpern selbst aus der Lunge ohne äußere Operation ermöglicht.
Brusthöhle. Ein Gebiet, welches erst im Laufe des letzten Jahrzehnts der
— operativen Heilkunde erschlossen wurde, ist die Chirurgie der inneren
Organe der Brusthöhle. Daß sie so gar nicht Schritt hielt mit der inzwischen weit
gediehenen Entwickelung der Bauchhöhlenchirurgie hatte seinen Grund darin, daß kein
sicheres Mittel bekannt war, um die großen Gefahren einer Eröffnung der Brusthöhle
mit Sicherheit auszuschalten. Während die Eröffnung der Bauchhöhle bei einwand-
freier Asepsis ganz ungefährlich ist, liegen die Berhältnisse bei der Brusthöhle wesentlich
anders. Mit dem Moment, der Luft in die Brusthöhle eindringen läßt, stürzt die Lunge,
die durch den negativen Druck im Brustraume ausgespannt gehalten wird, zusammen;
sie wird nicht nur selbst aus der Atemtätigkeit ausgeschaltet, sondern beeinträchtigt
durch Verschiebung des Mittelfelles auch die Atmung der anderen Lunge in einer
Weise, daß unter Umständen blitzartig schnell der Tod erfolgen kann, jedenfalls aber
schwere Kollapserscheinungen auftreten. Viele Methoden wurden ersonnen, um diese
Sefahr zu beseitigen, die eigentliche Lösung des Problems gelang aber erst im Jahre
1904 einem jungen Assistenten der Breslauer Klinik, Sauerbruch, jetzt ordentlicher
Professor der Chirurgie an der Universität Zürich. Sein Druckdifferenzverfahren
verhindert die Lunge dadurch am Zusammensinken, daß es auf ihre Oberfläche einen
negativen Druck einwirken läßt.
Zu diesem Zweck konstruierte Sauerbruch eine pneumatische Kammer. Zn ihr be-
findet sich der Körper des Patienten, während der Kopf außerhalb ruht. Dieser und mit
ihm die an Mund und Nase ausmündende Innenfläche der Lunge steht also unter Atmo-
sphärendruck, während in der Kammer, die gleichzeitig den Operateur und Assistenten
aufnimmt, mittels Luftpumpe ein geringer negativer Druck erzeugt wird. Eröffnet
man nun in der Kammer den Brustkorb, so bleibt die Lunge entfaltet, weil auf ihre Ober-
fläche ein negativer, auf ihre Innenfläche der Atmosphärendruck einwirkt. Diesem Prin-
zip des Unterdruckes steht das des Uberdruckes, welches besonders von Brauer ausgebildet
wurde, gegenüber; hier wird in einem den Kopf umgebenden Kasten oder in einer,
Mund- und Nasenöffnung bedeckenden Maske ein erhöhter Druck erzeugt, der nun aus-
schließlich auf die Innenfläche der Lunge wirkt, diese gleichsam aufbläst und so ebenfalls
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