Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
X. Buch. Allgemeine Naturwissenschaft; Botanik; Abstammungelehre. 105 
  
Weil diese letzteren auf physikokchemischen Wegen erforschbar sind, hat die Wissenschaft 
sich der Erforschung dieser mechanischen Seite bzw. Grundlage des Lebens in erster Linie 
zugewandt. Es ist geradezu Pflicht der Physiologie, die mechanische Erklärung der Lebens- 
vorgänge so weit zu treiben, wie es möglich ist; sich dann aber auch Nechenschaft darüber 
abzulegen, ob, wo und was für ein unerklärbarer Rest übrig bleibt. Ich gehe noch weiter. 
Im Besit solcher als fruchtbar erkannter Forschungsmethode dürfen wir uns so verhalten, 
als ob der Anwendung dieses Verfahrens keine Grenzen gezogen wären. Oer alte, mecha- 
nistische Erklärungsversuch des Lebens ist heute aus einer Lehre zu einer Methode geworden. 
Ich kehre von diesen Betrachtungen zu dem im 
Weltall allein bekannten Wohnplatz des Lebens, zu 
dem von uns bevölkerten Planeten zurück. Alle Mutmaßungen über seinen Ursprung 
und seine Fortbildung stimmen darin überein, daß der Erdball einft auch an seiner 
Oberfläche eine ähnliche Temperatur besaß, wie wir sie heute noch im Erdinnern 
feststellen können, und daß die Erdrinde in allmählicher Abkühlung die gemäßigte Tem- 
peratur annahm, deren Zeugen wir sind. Die gegenwärtigen Temperaturverhältnisse 
werden nur dadurch möglich und erhalten sich in einem wenigstens scheinbaren Gleich- 
gewicht, daß die Sonne unauzgesetzt der Erde eine große Menge von Wärme zustrahlt, 
wobei sie das Wasser an der Erdoberfläche verdampft, ohne dessen periodische Nieder- 
schläge zu hindern. 
Erst durch das Eintreten dieser mit zeitweiligen Niederschlägen von Wasser verbun- 
denen Temperatur wurden auf der Erde die Bedingungen für das Dasein von Lebewesen, 
wie wir sie kennen, verwirklicht. Die Möglichkeit des Daseins ganz anders gearteter 
Lebewesen auf anderen Himmelskörpern braucht keine irdische Wissenschaft in Betracht 
zu ziehen. Nach übereinstimmender Meinung der Geologen wie der Biologen unfrer 
Tage hat seit seinem ersten Auftreten auf der Erde das Leben keine Unterbrechungen 
erlitten, ist durch keine Katastrophen ausgetilgt und dann neu gebildet worden, wenn auch 
die Gestalt der Lebewesen in früheren Erdepochen vielfach eine andre gewesen ist, als in 
der Gegenwart. 
Die allmähliche Umbildung unfres festen Erdkörpers bis zu unseren Tagen ist lange 
vor der hier in Betracht kommenden Wissenschaftsperiode durch Lpell gelehrt worden; 
die geologischen Forschungen der neusten Zeit haben die Ansicht von der Kontinuität der 
Erdgeschichte nur erweitert und vertieft. Die neuere Geologie glaubt auch nicht mehr, 
Reste der ursprünglichen Erstarrungskruste der Erde noch unter den Händen zu haben, 
wofür der Gneis einst galt, sondern die kristallinischen Schiefer, zu denen der Gneis gehört, 
werden gedeutet als uralte Ablagerungen des Meeres, die im Laufe der Zeit kristallinische 
Struktur angenommen haben. Auch alle übrigen Formationen der Erdrinde sind auf 
solche Ablagerungen aus dem Wasser zurückzuführen, deren Schichten dann an einzelnen 
Stellen vom glutflüssigen Erdinnern durchbrochen wurden; die so hervorgetretenen 
plutonischen Gebilde kennen wir als Granite, Basalte usw. Noch in der Gegenwart be- 
zeichnen die Bulkane Offnungen, durch die das Erdinnere mit der Erdoberfläche in Ver- 
bindung treten kann. Von den plutonischen und vulkanischen Bildungen abgesehen ist 
Entwicklung des Erdballs. 
  
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