X. Buch. Allgemeine Naturwissenschaft; Botanik; Abstammungelehre. 105
Weil diese letzteren auf physikokchemischen Wegen erforschbar sind, hat die Wissenschaft
sich der Erforschung dieser mechanischen Seite bzw. Grundlage des Lebens in erster Linie
zugewandt. Es ist geradezu Pflicht der Physiologie, die mechanische Erklärung der Lebens-
vorgänge so weit zu treiben, wie es möglich ist; sich dann aber auch Nechenschaft darüber
abzulegen, ob, wo und was für ein unerklärbarer Rest übrig bleibt. Ich gehe noch weiter.
Im Besit solcher als fruchtbar erkannter Forschungsmethode dürfen wir uns so verhalten,
als ob der Anwendung dieses Verfahrens keine Grenzen gezogen wären. Oer alte, mecha-
nistische Erklärungsversuch des Lebens ist heute aus einer Lehre zu einer Methode geworden.
Ich kehre von diesen Betrachtungen zu dem im
Weltall allein bekannten Wohnplatz des Lebens, zu
dem von uns bevölkerten Planeten zurück. Alle Mutmaßungen über seinen Ursprung
und seine Fortbildung stimmen darin überein, daß der Erdball einft auch an seiner
Oberfläche eine ähnliche Temperatur besaß, wie wir sie heute noch im Erdinnern
feststellen können, und daß die Erdrinde in allmählicher Abkühlung die gemäßigte Tem-
peratur annahm, deren Zeugen wir sind. Die gegenwärtigen Temperaturverhältnisse
werden nur dadurch möglich und erhalten sich in einem wenigstens scheinbaren Gleich-
gewicht, daß die Sonne unauzgesetzt der Erde eine große Menge von Wärme zustrahlt,
wobei sie das Wasser an der Erdoberfläche verdampft, ohne dessen periodische Nieder-
schläge zu hindern.
Erst durch das Eintreten dieser mit zeitweiligen Niederschlägen von Wasser verbun-
denen Temperatur wurden auf der Erde die Bedingungen für das Dasein von Lebewesen,
wie wir sie kennen, verwirklicht. Die Möglichkeit des Daseins ganz anders gearteter
Lebewesen auf anderen Himmelskörpern braucht keine irdische Wissenschaft in Betracht
zu ziehen. Nach übereinstimmender Meinung der Geologen wie der Biologen unfrer
Tage hat seit seinem ersten Auftreten auf der Erde das Leben keine Unterbrechungen
erlitten, ist durch keine Katastrophen ausgetilgt und dann neu gebildet worden, wenn auch
die Gestalt der Lebewesen in früheren Erdepochen vielfach eine andre gewesen ist, als in
der Gegenwart.
Die allmähliche Umbildung unfres festen Erdkörpers bis zu unseren Tagen ist lange
vor der hier in Betracht kommenden Wissenschaftsperiode durch Lpell gelehrt worden;
die geologischen Forschungen der neusten Zeit haben die Ansicht von der Kontinuität der
Erdgeschichte nur erweitert und vertieft. Die neuere Geologie glaubt auch nicht mehr,
Reste der ursprünglichen Erstarrungskruste der Erde noch unter den Händen zu haben,
wofür der Gneis einst galt, sondern die kristallinischen Schiefer, zu denen der Gneis gehört,
werden gedeutet als uralte Ablagerungen des Meeres, die im Laufe der Zeit kristallinische
Struktur angenommen haben. Auch alle übrigen Formationen der Erdrinde sind auf
solche Ablagerungen aus dem Wasser zurückzuführen, deren Schichten dann an einzelnen
Stellen vom glutflüssigen Erdinnern durchbrochen wurden; die so hervorgetretenen
plutonischen Gebilde kennen wir als Granite, Basalte usw. Noch in der Gegenwart be-
zeichnen die Bulkane Offnungen, durch die das Erdinnere mit der Erdoberfläche in Ver-
bindung treten kann. Von den plutonischen und vulkanischen Bildungen abgesehen ist
Entwicklung des Erdballs.
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