Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
270 Die soziale Medizin und soziale Hygiene. X. Buch. 
  
Shiga und Kruse 1898 nach, daß für die meisten Formen unserer einheimischen Ruhr ein 
wohl charakterisiertes Stäbchen von geringer Resistenz als Ursache der Krankheit zu be- 
trachten ist, Pfeiffer entdeckte den Erreger der Influenza. Als Ursache der Genickstarre 
wurde von Weichselbaum im ZLahre 1887 ein Diplokokkus erkannt, der auch in dem 
Rachen von Gesunden vielfach konstatiert wurde. In einer kurzen Spanne Zeit war 
eine wichtige Entdeckung der anderen gefolgt, nachdem in den vorhergehenden Jahr- 
zehnten nur die Atiologie des Rückfallfiebers und der Malaria geklärt war. Aber 
auch zur genaueren Kenntnis dieser Erkrankungen trugen Kochs und seiner Schüler 
Arbeiten und Anregungen wesentlich bei. Dagegen sind die Erreger von Tollwut, 
Masern, Scharlach und Pocken bisher nicht mit Sicherheit bekannt. 
Die neuen Funde ließen die Möglichkeit einer rationelleren Bekämpfung der übertrag- 
baren Erkrankungen erhoffen, als sie seither möglich war. Auf diesen Erwartungen auf- 
bauend entstand das Reichsgesetz betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krank- 
heiten, das am 30. Juni 1900 Gesetzeskraft erlangte. 
Dieses bestimmt, daß jede Erkrankung und jeder Todesfall an Aussatz (Lepra), 
Cholera (asiatischer), Fleckfieber (Flecktyphus), Gelbfieber, Pest (orientalischer Beulenpest), 
Pocken, sowie jeder Fall, welcher den Verdacht dieser Krankheiten erweckt, unverzüglich 
der zuständigen Polizeibehörde anzuzeigen ist. Diese Anzeigepflicht ist durch Be- 
kanntmachung des Reichskanzlers auch auf den Milzbrand ausgedehnt worden. 
Aach den meisten landesrechtlichen Gesetzen sind außerdem jede Erkrankung und 
jeder Todesfall an Diphtherie, Genickstarre, Kindbettfieber, Körnerkrankheit, Rückfall- 
fieber, übertragbarer Ruhr, Typhus, Scharlach, Rotz, Tollwut, Fleisch-, Fisch- und Wurst- 
vergiftung sowie Trichinose möglichst umgehend nach erlangter Kenntnis anzuzeigen. 
In einzelnen Bundesstaaten sind auch Fälle von Masern, Röteln, Mumpe, Keuchhusten, 
Beri-Beri und Skorbut sowie Todesfälle von Kehlkopf- und Lungentuberkulose anzeige- 
pflichtig. 
** Oie erste Seuche, welche den Regierungen Ver- 
Dle bol —mbur1892. anlassung gab, energischere Maßnahmen zu er- 
greifen und ihre Wirksamkeit zu erproben, war die Cholera, welche 1892 vermutlich 
von Havre in Hamburg eingeschleppt wurde und dort fast explosionsartig zum 
Ausbruch kam. Als Herd der Infektion war die Elbe zu betrachten, deren Wasser 
infolge des trockenen Sommers mit Ebbe und Flut in dem Elbbecken hin und her wogte 
und direkt, nach Klärung in einigen Bassins, in die Wasserleitung Hamburgs übergeführt 
wurde. Die erste wichtige Tatsache, welche die Studien in der Hamburger Epidemie 
lehrten, war die Bestätigung der Entdeckung von Robert Koch. In jedem Fall tppischer 
Cholera asiaticu wurden die Komabazillen gefunden; aber noch eine weitere 
Beobachtung von Bedeutung wurde gemacht. Nicht allein bei Cholerakranken, sondern 
auch bei Menschen, welche keine Erscheinungen von Cholera darboten, aber mit 
Kranken in Berührung gekommen waren, ließen sich längere Zeit Tholerabazillen 
im Stuhlgang nachweisen. Oiese Beobachtung war geeignet, viele seither merkwürdige 
Fälle von Choleraverschleppung zu erklären. Oie gleiche Beobachtung wurde in der Folge 
  
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