Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
X. Buch. Die soziale Medizin und soziale Hygiene. 285 
  
eine große Zahl Menschen dringend geboten. Für viele Nervenkranke muß der Al- 
kohol als ein starkes Gift bezeichnet werden. Für alle diejenigen, welche mit starken 
Erregungszuständen reagieren, alle diejenigen, welche den einmal begonnenen 
Genuß aus innerem Orang nach weiterer Betäubung fortsetzen und so das eigene Leben 
und das der Angehörigen zerstören, ist völlige Enthaltung von Alkohol das einzige Hilfs- 
mittel. Es läßt sich auch behaupten, daß eine große Zahl von Menschen dutch die völlige 
Abstinenz gerettet und die Familien wieder in geordnete Verhältnisse gekommen sind. 
Daß sich die völlige Enthaltung vom Alkohol für alle Kreise des Volkes durchführen läßt, 
ist unwahrscheinlich. Es hat sich auch in anderen Staaten gezeigt, daß die strengsten 
Gesetze das nicht zu erreichen vermochten. Deshalb müssen wir es begrüßen, daß auch 
eine Mäßigkeitsbewegung in erfolgreicher Weise eingesetzt hat. Man wird auch mit 
einem gewissen Recht annehmen können, daß der Rückgang des Säuferwahnsinns in 
den Zahren 1902—1904 auf weniger als die Hälfte gegenüber der vorangegangenen 
Fahren auf alle diese Bestrebungen zurückzuführen ist. Damit steht im Einklang, daß 
der Branntweinkonsum pro Kopf und Jahr in Deutschland im Zahre 1909—1910 einen 
beträchtlichen Rückgang zeigt. Immerhin ist der Konsum der alkoholischen Getränke 
in Deutschland noch recht beträchtlich. Die Ausgaben für diese werden im Jahr auf mehr 
als drei Milliarden geschätzt. 
Die Mutterschafts- und Säuglings-Fürsorge. 
Private Bestrebungen zur Mutterschafts- und Säuglingsfürsorge haben 
naturgemäß seit alten Zeiten bestanden. Aber erst seitdem der Gedanke der sozialen 
Fürsorge weiteren Boden gewann und auch in gesetzlichen Bestimmungen seinen 
Ausdruck fand, und seitdem die Zunahme des Wohlstandes es möglich machte, reichere 
Mittel für diese Zwecke zu gewinnen, haben die Bestrebungen größere Erfolge gezeitigt. 
Mutterschutz. Nachdem die Novelle zur Gewerbeordnung vom 28. August 1908 
einen vierzehntägigen vorgeburtlichen Schutz der in Fabriken und 
Werkstätten beschäftigten Arbeiterinnen vorgesehen hatte, bestimmt die Reichsver- 
sicherungsordnung folgendes (& 195): 
Wöchnerinnen, die im letzten Jahr vor der Niederkunft mindestens sechs Monate 
hindurch auf Grund der Reichsversicherungsordnung oder bei einer knappschaftlichen 
Krankenkasse gegen Krankheit versichert waren, erhalten ein Wochengeld in Höhe des 
Krankengeldes für acht Wochen, von denen mindestens 6 Wochen auf die Zeit nach der 
Entbindung fallen müssen. Mitglieder der Landkrankenkassen erhalten das Wochengeld 
mindestens für vier und höchstens für acht Wochen. Weiterhin kann arbeitsunfähigen 
Schwangeren Krankengeld für sechs Wochen gewährt werden. 
Auch Anstaltsfürsorge wird den Schwangeren durch Kommunen und Stiftungen, 
Wöchnerinnenheime besonders in größeren Städten vielfach gewährt, ebenso ärztliche Hilfe 
durch wohltätige Einrichtungen, welche zum Teil mit Unterstützung des Vaterländischen 
  
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