Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
X. Buch. Veterinärmedizin. 299 
  
und in allerjüngster Zeit auch das Recht zur Ernennung von Privatdozenten verliehen. 
Damit hat die vor 25 Jahren einsetzende Weiterentwickelung der Tierarzneischulen zu voll- 
wertigen akademischen Bildungsanstalten ihren Abschluß und zugleich ihre Krönung 
erfahren. i 
Es kann nicht überraschen, daß nach Erreichung dieses Zieles sich in allerjüngster Zeit 
auch in Deutschland Bestrebungen geltend machen, die nichts Geringeres als die völlige 
Eingliederung der tierärztlichen Hochschulen in die Landesuniversitäten bezwecken, um 
so auch äußerlich den nahen Zusammenhang zwischen Human- und Veterinärmedizin zum 
Au:sdruck zu bringen. Wir können diese Bestrebungen dort, wo sie durchführbar sind und 
auf eine völlige Gleichstellung der tierärztlichen mit den übrigen Universitätsabteilungen 
binzielen, im IZnteresse der BVeterinärmedizin und des tierärztlichen Standes nur mit 
Freuden begrüßen. 
Stellung der Tierärzte. Entsprechend der vollwertigen akademischen Ausbil- 
dung und dem an Bedeutung ständig zunehmenden 
Wirkungskreise der Tierärzte hat sich selbstverständlich auch ihre soziale Lage und 
ihre gesellschaftliche Stellung gehoben. Auch für den Fernerstehenden sichtbar 
ist der Wandel in der Wertschätzung des tierärztlichen Standes durch drei Vorgänge 
aus jüngster Zeit besonders zum Ausdruck gelangt: durch die Schaffung eines BVeterinär- 
offizierskorps, durch die Gleichstellung der Beterinärbeamten mit den Medizinalbeamten 
und durch die Ernennung von Fachreferenten in den zuständigen Ministerien der einzelnen 
Bundesstaaten. Daß auch diese Errungenschaften den Tierärzten nicht mühelos in den Schoß 
gefallen sind, lehrt ein Blick in die Fachpresse des letzten Jahrzehnts. Nächst dem Wohl- 
wollen der zuständigen Reichs- und Staatsbehörden und den Bemühungen einfluß- 
reicher Fachkollegen danken wir diese Fortschritte der jahrelangen zielbewußten Vor- 
arbeit, welche die tierärztlichen Standesvertretungen, vor allem die Vertretung der ge- 
samten deutschen Tierärzteschaft, der deutsche Veterinärrat unter Führung von Esser 
und Schmaltz, geleistet haben. Daß diese in erster Linie den Veterinärbeamten und den 
Militärtierärzten zuteil gewordene Rangerhöhung ihre Wirkung auch auf die übrigen tier- 
ärztlichen Berufsgruppen, insbesondere die Gemeindetierärzte und die Privattierärzte, 
ausüben wird, steht außer Zweifel; aber ebenso sicher ist es auch, daß gerade diese der staat- 
lichen Aufsicht nicht unmittelbar unterstellten Berufsgruppen noch manche Kleinarbeit 
im eigenen Lager zu leisten haben werden, ehe der Boden für die erstrebten, vor allen auch 
auf eine wirtschaftliche Besserstellung hinzielenden Reformen überall hinreichend vor- 
bereitet sein wird. Hier helfend und fördernd einzugreifen, dürfte eine weitere dankbare 
Aufgabe der tierärztlichen Standesvertretungen sein, die erst jüngst in Preußen und in 
einigen anderen Bundesstaaten durch die Gründung von Tierärztekammern einen 
Ausbau erfahren haben, der für die Weiterentwickelung des tierärztlichen Standes von 
der größten Bedeutung sein dürfte. 
  
  
91° 1443
	        
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