Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
X. Buch. II. Ackerdau. 315 
  
Oie hohe Schätzung der Pflanzenzüchtung ist in gewissem Grade erst ein 
Produkt der neueren Zeit. Man sah lange die Hauptbedingung für das 
Zustandekommen genügender Felderträge in einer richtigen Bodenbearbeitung, wie auch 
in einer richtigen Düngung und richtigen Fruchtfolge. So wenig die Bedeutung dieser 
Faktoren bei der landwirtschaftlichen Produktion irgendwie verkleinert werden darf, so 
ist es doch als eine außerordentlich wichtige Ergänzung anzusehen, daß man als weitere 
gleichwertige Bedingung eine genügende Leistungsfähigkeit der Pflanzen bezw. 
der Sorten hinzugenommen hat. Ebensowenig wie das beste Futter durch ein mangel- 
haft gezüchtetes Tier voll verwertet wird, so bedeutet es auch eine wirtschaftliche Ver- 
schwendung, wenn man die besten Kulturmaßnahmen auf dem Acker durch mangel- 
haft befähigte Pflanzen auszunutzen sucht. Daneben ist das Streben, auch auf dem 
Gebiete der Ackerkultur, speziell dem der Düngung, immer weitere Fortschritte 
zu erzielen, unbedingt notwendig und nicht im geringsten weniger wichtig. In bezug 
auf die Hüngung hat nun auch die letzte 25jährige wirtschaftliche Entwicklungsperiode 
entscheidende Fortschritte gebracht. Vor allem sind in dieser Zeit neue Döünge- 
mittel zu den alten hinzugekommen, die für die Volkswirtschaft des ganzen Reiches 
sowohl wie auch für den Betrieb der Landwirtschaft selbst von ungeheurer Bedeutung 
geworden sind. 
Düngung. 
Thomasschlacke. In dieser Beziehung muß vor allem auf die Thomasschlacke 
und auf die kalihaltigen Abraumsalze hingewiesen wer- 
den. Während man vor der hier behandelten Wirtschaftsperiode als Phosphorsäure-- 
dünger neben den nicht sehr großen Mengen verschiedener Guanosorten und des 
Knochenmehls nur vorwiegend das Superphosphat mit „aufgeschlossener in Wasser 
löslicher" Phosphorsäure zur Verfügung hatte, dessen Menge durch die Verwendung 
mineralischer Phosphate größer geworden war, entdeckte man ungefähr in der Mitte 
der achtziger Zahre des vorigen Zahrhunderts in der als lästigen Rückstand bei der 
Stahlgewinnung erhaltenen sogenannten Thomasschlacke ein wertvolles phosphorsäure- 
haltiges Düngemittel. Man fand, daß es bei möglichst feiner Pulverung auf vielen Boden- 
arten, speziell auf Sand- und Moorboden, das Phosphorsäurebedürfnis der Pflanzen in 
ausgezeichneter Weise befriedigte, ebenso wie auf besserem Boden das Superphosphat. 
Man kann sagen, daß die landwirtschaftliche Kultur des leichteren Bodens und der Moor-- 
und Torfflächen durch die Einbeziehung der gemahlenen Thomasschlacke in den Kreis 
der Düngemittel erst in dem Umfange ermöglicht wurde, wie es in der neueren Zeit 
erreicht ist. Es ist hier zugleich die volkswirtsch#aftlich interessierende Tatsache zu kon- 
statieren, daß ein zunächst als lästig angesehenes Abfallprodukt eines Industriezweiges 
durch die überraschende Entdeckung seiner wertvollen Eigenschaften zu einem wichtigen, 
man kann fast sagen, Hauptprodukte geworden ist. Die Rentabilität der Stahlgewinnung 
nach dem Thomasverfahren wird jedenfalls in weitgehendem Maße durch die gute Ver- 
wertung der Thomasschlacke als Nebenprodukt beeinflußt. Die Mengen, die davon in 
der Landwirtschaft verwendet werden, sind immer mehr gestiegen und übertreffen jetzt 
die des Superphosphats bei weitem. 
  
92 1459
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.