R. Buch. Allgemeine Naturwissenschaft; Botanik; Abstammungslehre. 111
Hypothesen. sind. Die ganze von der Theorie geforderte vorkambrische Entwick-
lung müssen wir also hypothetisch in das Gebiet der kristallinischen
Schiefer verlegen und zugleich annehmen, daß deren Kristallisationsprozeß alle Spuren
organischer Bildung vernichtet hat. Schätzen wir die Zeit, die seit Beginn des Kambriums
verflossen ist, auf 100 Millionen Zahre, so werden wir zu der Annahme gedrängt, daß
schon mindestens 100 Millionen Jahre zuvor Leben an der Erdoberfläche bestand, daß
aber die Spuren dieses Lebens durch die Kristallisation der Schiefer vollständig ausge-
löscht wurden und daß sie daher unserm Wissen für immer entzogen sind. Die Urzellen,
die nach der Deszendenztheorie den Ausgangspunkt der Stammezgeschichte der Tiere
und Pflanzen bildeten, müssen somit zu einer Zeit gelebt haben, als die ältesten kristalli-
nischen Schiefer vom Meere abgesetzt wurden, eine Zeit, in die kaum unfre Phantasie
hinabreicht.
Wieriele Urzellen gab es im Anfang? Stwa nur eine einzige? Nur in diesem letz-
teren Falle dürfte von einer Blutsverwandtschaft aller Organismen gesprochen werden.
Oder mehrere, von denen jede der Ausgangspunkt einer der Hauptreihen des Tier- und
Pflanzenreiches wurde? Warum sind dann nicht gleich Millionen von Urzellen als ge-
geben anzunehmen, von denen jede eine stammezgeschichtliche Reihe von Organismen
einleitete, deren Endglieder wir in den ausgestorbenen und den lebenden Arten der Tiere
und Pflanzen vor uns haben? Dann wäre es freilich mit der Bluts- oder Stammesver-
wandtschaft überhaupt aus. Was endlich die Herkunft der Urzellen anlangt, so entzieht sie
sich jeder Vorstellung. Ubergangsgebilde zwischen der mineralischen Erdrinde undlebendigen
Zellen lassen sich nicht einmal erdenken, und die spontane Entstehung lebender Zellen aus
Meerwasser und festem Erdreich durch die Kräfte, die beiden an sich innewohnen, ist aus
chemischen wie aus physikalischen Gründen ausgeschlossen. Beim Versuch, die Entstehung
der Urzellen aus anorganischer Materie auszudenken, versagt selbst die Phantasie. Um
das jeder Behandlung unzugängliche Problem einer Urzeugung auszuschalten, ersann
Eberhard Richter seine später von Arrhenius wieder aufgenommene Hypothese der
Panspermie, wonach der Weltraum mit Urzellen bevölkert sein soll, die, als Staub auf
die Erde gelangt, nach deren Erkaltung sich weiter zu entwickeln vermochten. Eine Hppo-
thesfe, die so unbefriedigend ist, wie nur möglich, dabei jeder tatsächlichen Unterlage ent-
behrt; im Gegenteil, es ist bekannt, daß das Leben in den Keimen niederer Organismen
(Bakterien) durch die Sonnenstrahlen vernichtet wird.
Fragen wir nun, was die Beobachtung und das Ezxperiment mit
lebenden Pflanzen und Tieren zu gunsten der Abstammungs-
lehre geleistet haben, so ist es wenig genug, und ob man von der Zukunft viel
mehr erwarten darf, bleibt fraglich. Wir wissen, daß neue und vielfach auch erbliche
Pflanzenformen dadurch entstehen können, daß wir zwei Arten oder Rassen mit-
einander kreuzen. Wir wissen auch, daß neue erbliche Nassen bei Aussaat von Pflanzen-
samen entstehen können, die den Geschlechtszellen der gleichen Rasse entspringen.
So ist zweifellos durch Aussaat des Samens einer gewöhnlichen Buche einst die
erste Blutbuche entstanden, und die Blutbuche läßt sich erblich durch Aussaat fort-
Ezperimente.
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