X. Buch. II. Eisenbahnen. 343
II. Eisenbahnen
Von Geh. Hofrat Lucas, Professor an der Technischen Hochschule Dresden.
„Die Welt steht unter dem Zeichen des Berkehrs, er durchbricht die Schranken,
welche die Völker trennen und knüpft unter den Nationen neue Beziehungen an.“ Dieses
Kaiserwort an der Zahrhundertwende kennzeichnet auch heute noch auf das Treffendste
die Aufgaben und Ziele unserer Zeit.
Als machtvollstes Glied aber der dem Verkehre dienenden großen neufzeitlichen
Schöpfungen beseitigt heute vor allem die Eisenbahn in allen ihren Formen die Schranke
der Entfernung, zeitigt sie durch die Näherrückung der ihrer wirtschaftlichen Kräfte sich
bewußt werdenden Völker jenen Wettbewerb und jene großartigen wirtschaftlichen Wechsel-
wirkungen, die unsere Zeit beherrschen.
Mit dem Anwachsen des Verkehrsbedürfnisses der Völker steigerten sich natur-
gemäß in gleichem Maße die Ansprüche, die Handel und Gewerbe an die Eisenbahnen
stellten. Schnelligkeit und Massenhaftigkeit, Regelmäßigkeit und Häufigkeit, Wohl-
feilheit und Sicherheit der Beförderung sind die sich nicht immer untereinander in
Einklang befindenden Forderungen, deren möglichste Erfüllung heute das Streben
jeder Eisenbahnverwaltung, insbesondere jedes Eisenbahnen besitzenden Staatswesens
sein muß.
Dieses unablässige Streben hat in den
letzten verflossenen Fahrzehnten überall
zu einer ungeahnten Entwickelung des Eisenbahnwesens geführt, in hervor-
ragendem Maße auch im Oeutschen Reiche, hier gefördert durch die Segnungen des
Friedens, der unserem Vaterlande erhalten blieb, durch die klare Erkenntnis der leiten-
den Organe von der Wichtigkeit und Bedeutung der Eisenbahnen, durch den Fleiß, die
Gewissenhaftigkeit und das Verantwortlichkeitsgefühl aller im Eisenbahnbetrieb Be-
schäftigten. So bildet das deutsche Eisenbahnwesen heute ein hervorragendes Beispiel
deutscher Fähigkeit, Gründlichkeit, Wissenschaftlichkeit und Ausdauer.
Im ZJahre 1888 waren die Hauptlinien des deutschen Eisenbahnnetzes in
der Hauptsache bereits vorhanden, der Schwerpunkt der weiteren Entwickelung lag daher
vor allem in der Anpassung der vorhandenen Eisenbahnen an den unablässig steigenden
Verkehr, über dessen Zunahme die nachfolgenden Zahlen Aufschluß geben:
Entwicklung des Eisenbahnwesens.
1913 Steigerung
Anzahl 1888 (schätzungsweise) um etwa
I Millionen Millionen *
der beförderten Personen 340 1800 450
der zurückgelegten Personenkilometer 9209 43000 370
der beförderten Gütertonmen 200 690 245
der gefahrenen Gütertonnenkilometer 20386 67600 250
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