366 Die technischen Wissenschaften. X. Buch.
worden; in Deutschland wurde die erste Anlage 1891 zur Versorgung der Stadt Köln
errichtet. Heute beherrscht der Wechselstrom einen gewaltigen Teil der Elektrotechnik.
Seine gegen heftigsten Widerstand errungenen Erfolge verdankt er jener Umsetzbarkeit
der Spannungen in Transformatoren, einer Eigenschaft, der sich auf der Seite des Gleich-
stroms nichts von annähernd gleichem Werte gegenüberstellen läßt, heute auch nicht
mehr, wie man es früher wohl tun konnte, die Akkumulierbarkeit.
Den Erfolg der Wechselstromtechnik in den letzten 25 Zahren muß man um so mehr
bewundern, je mehr man erkennt, welche außerordentlichen Schwierigkeiten sich ihm ent-
gegenstellten. Die Theorie mußte zuerst auf der von den Pppsikern, Helmholtz u. a.,
gelegten Grundlage aufgebaut werden, eine mühsame Arbeit, die mit den von der
praktischen Technik gestellten Forderungen oft nicht Schritt halten konnte. Die Ent-
deckungen und Erfindungen überstürzten sich fast. Zum gewöhnlichen Wechselstrom,
dem Einphasenstrom, trat der Mehrphasenstrom hinzu. Dieser aus zwei oder drei in
ihren Phasen verschobenen Einphasenströmen bestehende Strom hatte seine wertoollfte
Eigenschaft, nämlich die, bei passender Anordnung der von ihm erregten Feldmagnete
ohne weiteres ein rotierendes Magnetfeld zu erzeugen, schon im Zahre 1883 offen-
bart. Zu praktischer Bedeutung gelangte er erst durch die Erfindung des aspnchronen
Induktionsmotors, die wieder gerade in das Jahr 1888 zu verlegen ist, wo Ferraris
und Tesla ihre Arbeiten und Konstruktionen bekanntmachten. Oieser Motor, dessen
Anker nach Dobrowolskp in nichts weiter als einer Anzahl von an ihren Enden durch
Kupferringe leitend verbundenen Kupferstäben zu bestehen braucht — wegen seiner
Abnlichkeit mit dem drehbaren Käfig des Eichhörnchens Käfiganker genannt — be-
seitigte mit einem Schlage den größten Nachteil des Wechselstroms, den nämlich, daß
es keine praktisch befriedigenden Wechselstrommotoren gab; ja er verwandelte den
Nachteil in einen Vorteil, denn an Einfachheit kann sich mit ihm kein anderer Motor
messen.
Zn der Ausbildung und Verwendung des neuen Motors und des Mehrphasenstromes
in Gestalt des reinen Drehstroms übernahm die deutsche Wissenschaft und Technik die
Führung. Diee zeigte sich glänzend auf der Frankfurter internationalen elektrotechnischen
Ausstellung im Jahre 1891, wo, in Verbindung mit der Schweizer Maschinenfabrik
Orlikon, die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft unter ihrem hervorragenden Ingenieur
Dobrowolsky die Motorstation einer nach diesem System betriebenen Energieüber---
tragung von 70 PS auf 175 km Entfernung von Lauffen am Neckar aus vorführte. Der
Kaiser hatte das Unternehmen durch Bewilligung eines Reichszuschusses von 10 000 M.
gefördert. Hinter diesem glanzvollen Ausstellungobjekte trat ein von Görges erfun-
dener Drehstrommotor von Siemens 8& Halske, ein Kommutatormotor, zurück,
obwohl er gegenüber dem erstgenannten den Vorteil hatte, seine Geschwindigkeit in
weiten Grenzen regulieren zu lassen. Erst mehrere Jahre später, als mehr Gewicht auf
Regulierbarkeit gelegt wurde, gelangten die Kommutatormotoren auf der Grundlage
des Görgesschen Motors zu praktischer Bedeutung. Ganz erheblich wurde ihre Einfüh-
rung erleichtert, ja eigentlich erst ermöglicht durch die bei der Gleichstrommaschine zur
Funkenunterdrückung so erfolgreich angewendeten Wendepole. Die Bewältigung der
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