X. Buch. Städtebau. 381
Zusammendrängen der Menschen neben- und übereinander auf die Sterblichkeit
im allgemeinen, auf bestimmte einzelne Krankheiten, auf die Schulunfähigkeit,
Militäruntauglichkeit usw. entstehen, ist in letzter Zeit immer genauer, teils statistisch,
teils medizinisch nachgewiesen worden. Die baupolizeilichen Vorschriften über Bau-
dichtigkeit bestehen nun aus vier Gruppen von Regeln, nämlich: die Flächenregel
über den zur Bebauung gestatteten Bruchteil eines Grundstücks, die Höhenregel
über die Größthöhe von Häusern und über die zulässige Anzahl der Geschosse, die
Abstandsregel über das Verhältnis von Höhe zu Abstand zwischen zwei einander gegen-
überstehenden Gebäuden, endlich die Naumregel, betreffend die Mindestabmessungen
von Zimmerhöhe, Zimmergrundriß, Fensterfläche, eine dem Familienstand entsprechende
Mindestzahl der Räume, die zulässige Anzahl der Wohnungen pro Haus, die Möglichkeit
der Durchlüftung. Zu diesen NRegeln hat man noch mehrere Varianten ersonnen, so über
das zulässige Kubikmaß aller Bauten auf einem Grundstück, über die Mindestgröße eines
in den Hofraum einzuschreibenden Kreises, über die zu belichtende Bodenfläche von Zim-
mern, über rückwärtige Baulinien. Sodann müssen noch Bestimmungen über Feuer-
sicherheit, konstruktive Festigkeit, Nachbarverhältnisse, hinsichtlich der Lage zur Straße u. a.
binzutreten, um eine vollständige Bauordnung zusammenzusetzen. Such ist das sog. wilde
Bauen durch Vorschriften über provisorische Zugänglichkeit und Entwässerung zu regeln.
Das ganze, außerordentlich umfangreiche und verschiedenartige Material aus ganz
Deutschland wurde auf Veranlassung des Verbandes deutscher Architekten- und Ingenieur--
vereine durch den Verfasser gesammelt, kritisch beleuchtet und als Normale Bauord-
nung 1880 herausgegeben. In der Tat erschienen bei dieser Bearbeitung die vielerlei
Verschiedenheiten unter den in Deutschland bestehenden Bauordnungen wissenschaftlich
unberechtigt, vielmehr einheitliche Hauptgrundsätze durchaus zulässig, vorbehaltlich von
Abweichungen in gewissen Punkten aus örtlichen Gründen, wie Klima, Sitte, Bau-
material. Jenes Buch sollte somit bei der Verbesserung von örtlichen, von Bezirks- und
Landesbauordnungen dienen, welche erfreulicherweise neuerdings vielfach vorgenommen
ist. Mustergültig sind besonders die neuen Landesbauordnungen von Sachsen und Baden
ausgefallen, weniger befriedigend diejenigen von Bapyern und Württemberg, am dürf-
tigsten der diesjährige preußische Gesetzentwurf, in welchem das meiste den Gemeinden
überlassen bleibt. Namentlich wurde aber schon bei jener Arbeit an eine Reichsbau-
ordnung gedacht. Die Vorteile einer solchen leuchten ein: es ließen sich die Einwir--
kungen der Trägheit, der Unwissenheit, der Privatinteressen von vornherein zurückweisen,
welche jetzt in jedem Lande, an jedem Ort einzeln mit Mühe bekämpft werden müssen;
Schwierigkeiten liegen nicht auf technischem, sondern auf politischem Gebiet. Denn
eine Reichsbauordnung würde einen wichtigen Bestandteil der im vorigen Zahr beschlosse-
nen Reichswohnungereform bilden, welcher sich jedoch bekanntlich alsbald Bedenken
wegen Kompetenz der Landesgesetzgebungen entgegengestellt haben. Hoffentlich wird
der erfreuliche Aufschwung zu einheitlichem Vorgehen nicht durch Sonderströmungen
ohne sachliche Gründe eingeschränkt, sondern ganze Arbeit machen, wie sie ja in anderen
Ländern längst besteht.
Bedeutsame wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiet der Bauordnungen wurden
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