386 Oie technischen Wissenschaften. X. Buch.
Immer mehr haben sich im Wohnungswesen die zwei entgegengesetzten Nichtungen
ausgebildet und organisiert: Baudichtigkeit und Weiträumigkeit, das Streben nach mög-
lichst hohen und der Wunsch nach niedrigen Bodenpreisen, Grundbesitzer- und Mieter-
vereine. Die dritte Gruppe, nämlich die Hausbesitzer, haben sich bisher unter dem
gemeinsamen Titel „Haus- und Grundbesitzervereine“ ins Schlepptau nehmen lassen,
erkennen und erklären jedoch neuerdings vielfach, daß ihre Interessen mit denjenigen
der Bodenspekulanten und Terraingesellschaften keineswegs übereinstimmen. Von den
Einwohnern unserer großen Städte leben 90% und mehr in Mietwohnungen. Es dient
daher der großen Mehrheit der Bevölkerung, wenn die Bodenpreise möglichst niedrig
gehalten werden, überdies aber der ganzen Gemeinde, um Land für öffentliche Zwecke
billig erwerben zu können, um Baulustige anzuziehen, welche die Ausnützung nicht bis zu
den äußerst zulässigen Grenzen treiben wollen, um dadurch den Städtebau mannigfaltig
und erfreulich zu gestalten. "
Seitdem die Wohnungsverhältnisse für die unbemittelten Klassen und bis in den
Mittelstand hinauf so schlimm geworden sind, ist viel Liebe und Arbeit auf Abhbilfsmittel
verwendet und hierdurch der Periode dieses Berichtes auch ein erfreuliches Merkmal
aufgedrückt worden. Von den beiden oben angeführten Bestandteilen, Bauplatz und Bau-
kosten, sind die letzteren durch sorgfältige Verteilung der NRäume und geschickte Konstruktion
binunterzudrücken gesucht, und hat sich jüngst vielfach die nutzbare Wohnfläche in Ein-
familienhäusern nicht kostspieliger herausgestellt als in mehrgeschossigen Miethäusern.
Leider sind die Arbeitslöhne und Materialpreise innerhalb unserer Berichtsperiode wohl
um ½ gestiegen. Was bhilft aber die Kenntnis über diese Preisbewegung, da es doch kein
Mittel dagegen gibt, vielmehr die Baukosten einfach durch die Konkurrenz reguliert wer-
den? Entschiedene Einwirkung vonseiten der öffentlichen Gewalt kann und soll jedoch bei
den Preisen der Bauplätze stattfinden, und da fehlt es außer dem schon besprochenen
Hauptmittel einer guten Bauordnung ebenfalls nicht an Bemühungen und Vorschlägen,
welche nunmehr aufgezählt werden sollen. Sie beziehen sich zumeist auf die Tätigkeit der
Gemeinde, welcher naturgemäß zunächst die Fürsorge für ihre Angehörigen und eine
entsprechende Bodenpolitik obliegt.
Hierzu gehört vor allem frühzeitige Aufschließung neuer Baugebiete durch Straßen
und sonstige Verkehrsmittel, um die Konkurrenz in Bauland zu erweitern. Ferner, um
vonseiten der Gemeinde direkt einwirken zu können, die Vergrößerung ihres Besitzes
mittels Eingemeindung, Erwerb von Grundstücken und nötigenfalls mittels Zwangs-
enteignung. Oie Fläche des Gemeindeeigentums übertrifft in einigen Städten schon
die Hälfte des Weichbildes (Frankfurt, Freiburg, Augsburg, Ulm). Wo eine Einge-
meindung nicht zustande gekommen, bildet ein „Zweckverband“ unter den wohnlich zu-
sammengehörigen Gemeinden einen Notbehelf — ob mit Erfolg, wird die Zukunft von
Großberlin lehren.
Besondere Vorsicht erfordert sodann die Hergabe von Gemeindeland an Baulustige.
Oieselbe sollte stets unter Bedingungen erfolgen, welche sich teils auf die Beschaffenheit
der beabsichtigten Häuser beziehen, teils auf die Verhinderung der Spekulation, etwa
durch Beschränkung des Gewinns des Unternehmers auf ortsübliche Höhe, so daß ein
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