54 Malerei und Plastik. Xl. Buch.
gewaltige Schwarzweißkunst sich in den Dienst der Erhebung durch religiöse Kunstwerke
gestellt; man hat das Wagnis unternommen, durch Albstraktion von der überlieferten
Formenwelt und durch neue Allegorien das moderne, von anthropomorphen Vorstellungen
befreite, dem „Wort“ zugewandte geistig-seelische, religiöse Gefühl zu befriedigen. Wie
immer man dies heiße, bingebungsvolle Ringen seinen Ergebnissen nach einschätzen
mag, die Tatsache dieser vielgestalteten Arbeit spricht von ebendemselben hohen und
echten Idealismus, welcher die Erforscher der Erde und der Elemente, Tag um Tag,
Gut und Leben ihren Zielen opfern heißt. Aus solchen und anderen lleineren und größeren
inneren Werten nimmt meiner Arnsicht nach die neue Monumentalmalerei ihren Ur-
sprung. Eine maßgebende Vorbedingung hierzu ist, das Vermögen, den Menschen, be-
Nacktkunst. sonders den Akt künstlerisch tadellos darstellen zu können. Hier hatte der
– Impressionismus mit seiner summarischen Behandlungsweise und seiner
Betonung der Wirkung des Sonnenlichtes im freien Raum, seiner Fernsicht und Vernach-
lässigung der Nahsicht sowie Gleichgültigkeit gegen die besonderen geistigen und körperlichen
Eigenschaften des Menschen entschieden eine verderbliche Einwirkung gehabt. Wenn trotz-
dem die Figurenmalerei nicht gänzlich übersehen ist, so haben dafür einesteils die Uber-
lieferung in den Akademien, andernteils die Neoklassiziften gesorgt. Diese um so mehr, als
sie zum Teil noch der altmeisterlichen Farbenmalerei treu geblieben sind. Max Klinger
hat am eindringlichsten den Wert der Harstellung des Körpers für die Kunst charakte-
risiert, wenn er schreibt: „Der Kern und Mittelpunkt aller Kunst, von dem sich die Künste
in der weitesten Entwicklung loslösen, bleibt der Mensch und der menschliche Körper.
Es ist die Darstellung des menschlichen Körpers, die allein die Grundlage einer gesunden
Stilbildung geben kann. Alles, was künstlerisch geschaffen wird in Plastik wie Kunst-
gewerbe, in Malerei wie Baukunst hat in jedem Teil engsten Bezug zum menschlichen
Körper. Die Form der Tassen wie die Bildung des Kapitäls stehen jedes in Proportion
zum menschlichen Körper. Auf dem Verständnis und der gleichmäßigen Ausbildung
dieser Verhältnisse kann allein eine selbständige Naturauffassung sich entwickeln. Denn
wie kann ich ein Nebending charakteristisch vereinfacht darstellen, wenn ich die Haupt-
sache, auf die es Bezug hat, nicht charakteristisch zu formen weiß. Wer eine Hand nicht
zu bilden weiß, wird auch keine Handhabe darstellen können, ausgenommen, er stiehlt
anderswoher. Und so leben wir heutzutage in jeder Kunst auf Raub. Das Studium
und die Darstellung des Nackten sind das Aund O jeden Stiles.“ Solche künstlerischen
Ansichten fanden in einer Reihe von begleitenden Erscheinungen allgemein kulturellen
Trsprunge kräftige Unterstützung. Ich erwähnte bereits, daß seit ca. 1895 in der Land-
schaftsmalerei ein Streben nach glanzvollen Raumdichtungen sich zu äußern beginnt,
und daß das Individuum von neuem in bestimmenderer Weise auf den Plan trat. Gerade
um diese Zeit kam unsere gesamte völkische Entwicklung wieder ein wenig aus dem
Sprunghaften und Unruhigen heraus. Es machte sich überall trotz und wegen der großen
wirtschaftlichen Verbände aller möglichen Art, und im Gegensatz zu der allerdings sehr
notwendigen Spezialisierung die einzelne Persönlichkeit in sicherer Kraft wieder geltend.
Die Weltanschauung des Sozialismus begann sich von neuem mit der schöpferischen
Macht des Einzelwesens auseinanderzusetzen, und dessen Schale senkte sich diesmal. In der
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