58 Malerei und Plastik. XI. Buch.
Bildhauerei. Vor etwa 25 Jahren stand die Bildhauerei unter dem maßgebenden
Einfluß desgegenständlichen Inhaltes und des malerisch-naturalistischen
Barocks mit seinem Uberreichtum an Einzelzügen. Hand in Hand ging damit die Freude an
freien Phantasieschöpfungen, die in stark bewegten Gegensätzen aufgebaut und in strenge
durchgeführtem Oberflächenrealismus ausgearbeitet wurden. Diese Lebenswirklichkeit
wurde durch eine lockere impressionistische Behandlung der Formen noch gesteigert. Ambesten
sind diese Eigenschaften der damaligen Revolutionäre gegen die herrschende Kompromiß-
antike an den Porträten zu erkennen, die in sehr wirkungsvoller und starker, dem Augenblick
abgelauschter Bewegung gehalten sind. Mit ihrer malerisch-naturalistisch wiedergegebenen
äußeren Erscheinung, bei der mit lleinen geistreichen Mätzchen nicht gekargt wurde,
sind diese Meißelarbeiten nicht selten von gefangennehmender Wirkung. Das Leben
selbst scheint sich überall unter der Oberfläche zu regen, so daß der Beschauer die bedenk-
lich malerischen Eigenheiten dieser Plastiken zunächst übersieht. Diese Besonderheiten
treten ferner sehr bemerkbar in den technisch ganz vortrefflich behandelten Nacktfiguren
hervor, deren Lebenswirklichkeit oft eine geradezu frappierende ist. Diese Anteilnahme
schwindet jedoch bei längerer Betrachtung gerade wegen der „wirklichkeitsechten“ äußeren
Formbehandlung und der eleganten, momentanen, reizvollen Bewegungen. Oiese Akt-
figuren sind also von einer vorgefaßten Absicht und von der körperlichen Modellerscheinung
abhängig, aber nicht in erster Linie von einer plastischen Formvorstellung. Oiese be-
denkliche Vermischung von Motiven mehr oder weniger gedanklichen Ursprunges, von
Plastik und Malerei erkennt man am schärfsten an den Reliefs, deren Vordergrund
dreidimensional, also plastisch, deren Hintergrund aber wie eine Zeichentafel behandelt
ist. Die Großplastik in Nacktfiguren trat damals in sicherer gefühlsmäßiger Erkenntnis
der Sachlage zurück, und die Nacktkunst bewegt sich vornehmlich und mit Anmut im
Gebiete der Kleinplastik, ohne schon damals in gutem Materiale eine größere Ausdehnung
zu gewinnen. Die Monumentalkunst kam überall leicht in die Gefahr, einem effekt-
vollen Pathos und einer manchmal peinlich wirkenden äußerlichen Erscheinung zu verfallen.
In einem Atemzuge mit diesem Eingeständnis müssen wir feststellen, daß damals eine
ganze Reihe von vortrefflich gearbeiteten Denkmälern aller Art errichtet sind. Die „Barock-
künstler“, also jene seinerzeit neue Richtung, wie die ältere, die realistisch-Iassizistische Auf-
fassung haben beide teil an diesen Werken. Mit besonderer Hingabe wurden natürlich die
Standbilder der deutschen Fürsten und der Helden des großen Krieges geschaffen, obwohl
die Arbeit ebenso selbstverständlich nach mancher Seite hin durch einengende Gesichts-
punkte, die sich aus dem noch zu geringen historischen Abstande ergeben mußten, er-
schwert wurde. Einen reichen Stoff boten inhaltlich die Denkmale für die im Feldzuge
gefallenen Krieger. Die Künstler haben im reichen Maße ihre Erfindungsgabe glänzen
lassen, aber auch hier versagte oft das Verständnis für echte Monumentalität, das ge-
rade in diesem Falle von rein künstlerischem Standpunkte aus dringend zu wünschen
gewesen wäre. Das tiefe Empfinden, das in den oft außerordentlich feinfühlig gewählten
Motiven sich Bahn bricht, entschädigt, wenn der Beschauer mit demselben warmherzigen,
deutschen Verständnis für das Gegenständliche im Kunstwerk sich diesen Vorwürfen
nähert, mit dem sie der Bildner sich erwählt hatte.
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