XI. Buch. Das Kunstgewerbe. 73
man an dem Alten bekämpft hatte, konnte ja schließlich weniger der Umstand sein, daß es
alt war, als daß es qualitativ oder geschmacklich minderwertig gewesen war. Gelang es
daher, diese Nachteile auszugleichen, so mußte etwas Neues zu schaffen sein, das gut war
und zugleich doch jene Haltung besitzen konnte, die allen alten Schöpfungen, auch denen
der letztvergangenen Zeit, immer noch anhaftete. Die Räume, die Bruno Paul auf der
Dresdener Ausstellung zeigte, hatten eine solche Haltung. Ihre Sachlichkeit und Selbst-
verständlichkeit mußten ohne weiteres überzeugen. Die große einfache NRaumteilung, die
die guten Verhältnisse voll zur Geltung kommen ließ, der angemessene Maßstab und ein
erlesener Geschmack, der Farben und Materialien fein zusammenzustimmen verstand,
machten sie vornehm und wohnlich. Sie zeigten gegenüber dem wilden und abenteuer-
lichen Aussehen der meisten anderen Räume eine überlegene Reife.
Diese Ausstellung Bruno Paul's sowie diejenige, die er im nächsten Zahre
auf der Berliner Kunstausstellung zeigte, bedeutete einen entschiedenen Er-
folg und zugleich einen Wendepunkt in der Entwicklung der Bewegung. Er
bewirkte nicht nur, daß diese sich auf sich selbst besann und in gesundere Bahnen einlenkte.
Er gewann auch alle diejenigen, die ihr bisher mit berechtigtem Zweifel zugesehen hatten,
zu Bundesgenossen. Auf den wilden Fasching der letzten 10 Zahre folgte ein Alcher-
mittwoch. Dem Zugendstil war der Todesstoß versetzt worden. Man konnte bei aller
Bewunderung für den Zdealismus seiner Erfinder ihn nicht länger ernst nehmen. Es
war an der Zeit, wieder einmal nachzudenken, sofern die ganze Arbeit und das mit so
viel Stolz angekündigte Programm nicht einem unrühmlichen Untergang verfallen
sollte. Schon begannen diejenigen zu triumphieren, die aus egoistischen Gründen dem
Neuen von jeher feindlich gegenübergestanden hatten, und es drohte sich das Spiel in
anderem Sinne zu wiederholen, d. h. man war geneigt, dem Neuen die Lebensberechtigung
genau so abzusprechen, wie die Neuerer es vor kurzem dem Alten gegenüber getan hatten.
Man macht ja so leicht den Fehler, in Extreme zu verfallen.
Es zeigte sich indessen, daß die Bewegung, wenn auch einstmals künstlich ins Leben
gerufen, doch inzwischen so an innerer Kraft gewonnen hatte, daß sie sich nicht durch die
Erkenntnis, auf dem falschen Wege gewesen zu sein, entmutigen ließ. Im Gegenteil,
es begann erst jetzt eine Zeit der Vertiefung und der innerlichen Gesundung. Hatte
man vorher mit dem Schlagwort des Persönlichen und Individuellen gearbeitet und den
Schwerpunkt ausschließlich auf das Neuartige der formalen Erscheinung gelegt, so er-
kannte man nun, daß der Wert eines Gegenstandes keineswegs hiervon abhänge, daß er
vielmehr in erster Linie auf der Güte seiner Herstellung beruhe. Hatte man ihn früher
nach seiner Form eingeschätzt, so achtete man nunmehr auf seine Qualität und führte die
Begriffe „gut“ und „schlecht“ ein, wo man bisher nur zwischen „alt“ und „neu“ unter-
schieden hatte. JZetzt war man endlich auf dem Wege, auf dem man ein Ziel und eine
Besserung erreichen konnte. Jetzt, wo es sich nicht mehr um subjektiv willkürliche, sondern
um positive und praktische Werte handelte, war auch die Möglichkeit gegeben, die Gefahr,
die Bewegung möchte auf eine Modeerscheinung hinauslaufen, abzuwenden und sie
mit denjenigen großen Faktoren in Einklang zu bringen, die für das Leben unserer Tage
Erfolg.
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