Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

Allgemeine Naturwissenschaft; Botanik; Abstammungslehre 
Von Geheimrat Hrof. Dr. J. Reinke, Kiel, M. d. H. 
Kant und die Gegenwart. In seiner 1755 gedruckten Allgemeinen Naturge- 
- schichte und Theorie des Himmels stellt uns Zmma- 
nuel Kant ein großartiges, aus Anschauung, streng folgerechtem Denken und Phantasie 
gewobenes Weltgemälde vor Augen, in dem, von der uralten Zdee des Werdens und 
der Entwicklung ausgehend, gezeigt wird, wie die endlose Schar der Himmelskörper, ins- 
besondre das unsre Sonne umkreisende Softem der Planeten, durch die Wechsel 
wirkung einfacher anziehender und abstoßender Zentralkräfte aus einem ursprünglich den 
Weltraum erfüllenden Nebel hervorgegangen sein könne. Es ist erstaunlich, mit welcher 
Eicherheit, unter Zugrundelegung weniger Voraussetzungen, der große Denker seine 
Hppothese zu einer solchen Vollständigkeit ausbaut, daß wir ihr selbst in Einzelheiten noch 
heute unfre Bewunderung nicht versagen können; äußert er doch über die Beschaffenheit 
der Sonne Vorstellungen, die wesentlich mit denen übereinstimmen, welche erfst viel 
später durch die Methode der Spektralanalpse zur Gewißheit erhoben worden sind. Hier 
möge besonders auf den Forschungsgrundsatz hingewiesen sein, den Kant zur 
Mazime seiner theoretischen Untersuchung erhob: zur Erklärung der Erschei- 
nungen soweit wie möglich mit den in der Natur bekannten mechanischen 
Kräften auszukommen. Kant hatte den Triumph, seine Theorie der Entwicklung 
der Himmelskörper restlos auf diese mechanischen Kräfte gründen zu können, so daß 
man ihm den stolzen Ausruf nicht verargen darf: „Gebt mir Materie, ich will euch zeigen, 
wie eine Welt daraus entstehen soll.“ A#uch an den lebendigen Bewohnern der Himmels- 
körper gehen Kants Betrachtungen nicht vorüber, wenn ihnen auch nur wenig Raum 
darin zugewiesen wird; um so bedeutungsvoller sind seine darauf bezüglichen Bemer- 
kungen. Uber die erste Entstehung von Lebewesen an der Oberfläche unfres Planeten 
gibt er sich keinen fruchtlosen Spekulationen hin, und dies dürfte vornehmlich darin seinen 
Grund haben, daß ihm die innere Mannigfaltigkeit im Bau eines einfachen Organismus 
Überaus viel verwickelter erscheint, als die ganze Struktur und Mechanik der Sonnensysteme. 
Darum ist Kant auch nicht kühn genug, seine mechanischen Grundkräfte als ausreichend für 
deren Bestimmung und Erklärung binzustellen. Er sagt: „Man darf es sich nicht befremden 
lassen, wenn ich mich unterstehe zu sagen: daß eher die Bildung aller Himmelskörper, die 
rsache ihrer Bewegungen, kurz, der Ursprung der ganzen gegenwärtigen Verfassung des 
Weltbaues, werde können eingesehen werden, ehe die Erzeugung eines einzigen Krauts 
oder einer Naupe, aus mechanischen Gründen, deutlich und vollstämdig kund werden wird.“ 
  
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