XI. Buch. Theater. 97
Sch gebiete Euch dreierlei:
Macht Deutschland von der Fremdberrschaft frei!
Sorget, daß Deutschland einig sei!
Und seid selber frei! Seid selber frei!
Denn sie bilden die QOuintessenz des freilich ganz willkürlichen, höchst undramatischen, aber
von einem wahren Oichter geschaffenen Werkes.
Einige Wochen nach der Aufführung des Erstlings von Haupt-
mann erschien das erste Werk Hermann Sudermanns
(27. November 1889). War Hauptmann ein völliger Reuling gewesen, dessen Name fast
ganz unbekannt war, so hatte Sudermann durch seinen Roman „Frau Sorge“ bereits
große Erfolge erzielt.
Hermann Sudermann gebührt das Verdienst, eine neue Richtung begründet zu
haben. Zuerst jubelnd begrüßt, wurde er allmählich von seinem Throne verstoßen und
ohne Berürcksichtigung seiner bedeutenden Leistungen geschmäht. Er übte nicht die Zurück-
haltung, die Kränkung schweigend hinzunehmen, sondern antwortete auf die groben An-
griffe noch gröber und machte durch seine Erwiderungen den Grimm der Gegner noch
schlimmer. Es läßt sich nicht leugnen, daß er allmählich von seiner Höhe stark herunter-
gestiegen ist, daß seine späteren Arbeiten an Kraft und Originalität hinter den früheren
zurückstehen. Aber eine bedeutende Stellung in der Literatur nimmt er durch die zwei
Dramen „Ehre“ und „Heimat“ ein. Er wurde damit Schöpfer des realistischen Dramas,
das eine aufregende, wirksame Handlung enthält. Das Wesen dieser Dramen drückt er,
wie R. M. Meper gezeigt hat, in der Art aus, wie er in „Sodoms Ende“ die Hauptperson
beschreibt: „Mit Elan dringt er mitten in die untergehende Stadt — die Straße da —
schon lichterloh — Männer und Weiber, nackt und halb betrunken, wie sie gerade aus ihren
Orgien taumeln.“ Die Handlung, von der er zu berichten weiß, ist interessant, und wenn
auch nicht immer neu, so doch in anderer Art als früher beleuchtet. Gewiß hatte man
schon früher das Vorder- und Hinterhaus — die Vertreter der höheren und niederen
Stände — einander gegenübergestellt. Er verschärfte diesen Gegensatz und gab den ein-
zelnen Bewohnern, die er unparteiüsch schaute wie sie wirklich waren, ein scharf gezeichnetes
stilistisches Gepräge. Nur, daß er seine eigene Weisheit gar zu aufdringlich den Haupt-
personen in den Mund legt. Er liebt es, die neuen Erfahrungen und Erlebnisse des in der
Ferne gereiften mit dem unveränderten Zustand der im Vaterland Zurückgebliebenen zu
kontrastieren. Er schildert mit großer Virtuosität den nervösen, durch Genußsucht und
Arbeitsübertreibung, durch Vergötterung der anderen und übermäßiges Selbstbewußt-
sein verdorbenen Dekadenten.
Ein gewandter und bühnensicherer Techniker, der freilich gar manches von Sardous
Manier entnimmt und sich dieser Geschicklichkeit rühmt. Er kennt meisterlich seine Heimat
Ostpreußen und vermag namentlich gewisse Topen, wie Lehrer und Pfarrer, ausgezeichnet
zu charakterisieren, weniger gelingt es ihm, Dörfler und Personen niedrigen Standes in
ihrer ganzen Wesenheit zu schildern. Er ist ein eindrucksfähiger Rhetoriker, der namentlich
in den großen Szenen, in denen das Hauptinteresse beruht, den Leichtgläubigen erschüttert.
Herm. Sudermann.
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