112 Cheater. XI. Buch.
das freilich als letztes Opfer den Verführungskünsten des Diabolo anheimfällt. Das ist
alles so schön unwahrscheinlich wie im echten Märchen und doch auf die Stufe höherer
Vermenschlichung gehoben; auch für Gruseln und Humor wird reichlich gesorgt.
Die hauptsächliche Wiederbelebung des Märchens verdankt man Elsa Bernstein
(E. Kosmer) „Oie Königskinder“ (1895). Sie sind ein frei erfundenes Märchen voll
kräftiger Phantasie und dichterischer Feinheit, mit dem keine der vielen Nachahmungen,
die bekannte Figuren wie Blaubart, Dornröschen, Melusine vorführen, irgendwie zu
vergleichen sind. Z
So sehr nun aber auch das Stoffliche in der Geschichte reizte und das Phantastische
im Märchen lockte, — die eigentliche Domäne des modernen Dramatikers bleibt doch die
Gegenwart, das reale Leben.
Stände. Zunächst dienen die Vertreter der verschiedenen Stände zu poetischer
— Betrachtung und Verwertung. Es ist in der obigen Betrachtung
häufig darauf hingewiesen worden, wie Männer und Frauen, wie Kinder beiderlei
Geschlechts in ihren Gefühlserregungen beobachtet und analpsiert wurden. Im älteren
Deater konnte man sich kaum ein Stück ohne Liebe denken; ein solches ausschließliches
Wertlegen auf die Liebe liegt dem Modernen fern. Trotzdem steht die Frau immer im
Vordergrunde, von allem anderen abgesehen schon aus dem Grunde, da auch die Modernen
den Reiz, den schöne Toiletten und pikante Gesichter auf die Zuschauer ausüben, nicht
entbehren mögen. Aur wenige Dichter sind absichtlich oder unabsichtlich auf das Kunst-
oder vielmehr Virtuosenstück verfallen — denn ein solches Verfahren hat mit wirklicher
Kunft kaum etwas zu tun — Frauenrollen ganz auszulassen. So erscheint z. B. in Schnitz-
lers „Professor Bernhardi“ nur eine weibliche Person, eine Krankenschwester. Und
ihre Tätigkeit vollzieht sich mehr hinter als auf der Bühne.
Fragt man sich nun, in welcher Weise die Vertreter der verschiedenen
Geschlechter ausgestaltet werden, so dürfte sich schwerlich eine Gleichheit
in der Charakteristik finden. Die koketten und lüsternen, die emanzipierten und blau-
strümpfigen, die tätig häuslichen und die in Vergnügungen schwelgenden Frauen werden
abwechselnd gezeichnet; gemeinsam ist den Dichtern nur, daß der schon von der Renais-
sance gepredigte Grundsatz, das Weib sei dem Manne gleich, — jene Zeit bezog es frei-
lich in höherem Grade auf Bildung als auf sittliche Gleichberechtigung — allgemeine
Gültigkeit erlangt hat. Während das französische Sittenstück für die Frau nur das KRecht
auf Ehebruch reklamierte als Bestrafung für die Leichtfertigkeit der Männer, die ein
Hauen über die Stränge als ein Privilegium ihres Herrenrechtes beanspruchten, lehrt
die Moderne das innere Recht, den auf Grund der entwickelten Wesenheit der Frau
ihr zukommenden Anspruch, sich „auszuleben“, sich „selbst zu setzen“. Daher hat sie
weder Platz für die Ingénues, jenes fast unentbehrliche Requisit aus der Bäter Tagen:
die lebensunkundigen, im Traumleben der Phantasie herumirrenden Naiven, noch für
die schnippischen Kammerzofen, noch für die würdigen Duennas, die ehedem die schützende
Leibwache unerfahrener Mädchen und Frauen bildeten, noch für die Tugenddrachen,
Frauen.
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