XI. Buch. Cheater. 113
Schwiegermũtter, ältliche, mit den Lebensfreuden fertige, weil enttäuschte oder viel-
erfahrene Zungfrauen, die, weil sie selbst mit dem Dasein abgeschlossen haben, ihre Auf-
gabe darin erblicken, anderen das Leben zu vergällen.
Kinder. #Auch bei den Kindern ist das Hervordrängen der Kindlichkeit völlig
vergessen oder mindestens in den Hintergrund geschoben. Wie fern
stehen der neuen Zeit die munteren zimperlichen Backfische oder die „süßen“ Kinder
vergangener Tage. Sprößlinge, die sich zaghaft wider den rauhen Befehl des Vaters
aufbäumen oder die eindringlich zärtlichen Mahnungen der Mutter durch Liebkosungen
und Schmeicheleien zunichte zu machen suchen, sind kaum denkbar; sie sind verdrängt
durch selbstbewußte, ihres Ichs innegewordene, auf die Kraft ihrer Individualität
pochende Lebewesen; an die Stelle der Pietät ist das Hochhalten des Selbstbestim-
mungsrechts getreten, das seine Begründung in dem frechen Wort und Gedanken
findet, daß die Kinder ja keinen Anteil an dem Umstand besitzen, in die Welt gesetzt
worden zu sein.
Männer. Unter den Männern gibt es wohl nach wie vor Herren und Schwäch-
— linge, Sinnenmenschen und Tugendbolde, aber der Topus der Herren-
menschen, wie er sich früher in der selbstherrlichen Verfügung über das Weib äußerte,
ist verbannt und nur insofern geblieben, als der Mann so gut wie die Frau sich selbst den
Weg bestimmt, zum Teil gegen die Gesetze und gewiß gegen die Konvention. Auffallend
häufig begegnet auf dem Theater wie in der modernen Gesellschaft überhaupt der ver-
wöhnte Jüngling oder der ältere Mann, der mit den Manieren der Zugend prahlt, der
Beschäftigungslose, der von dem Gelde seiner Eltern oder von Schulden ein kostspieliges
Dasein führt. Auch das ist freilich kein Novum — die Romantik kannte diesen Typus
freilich mehr im Roman als im Drama unter der Bezeichnung des „schönen Leichtsinns“.
Aur ein allerdings bedeutsamer Wesensunterschied besteht: die Helden der Romantik
gleichen mitunter den Riesen, die Bäume zu entwurzeln vermögen, die der neusten Zeit
sind Dekadenten. Sie tragen sichtlich alle Spuren des Verfalls an sich: sie wissen nichts
von der Vergangenheit, denn der Genuß, den sie erschöpft haben, widert sie an. Die
Gegenwart ist ihnen langweilig und die Zukunft trostlos.
offiziere. Während in früheren Zeiten solche Hohlköpfe vielfach dem #ldel ent-
–— nommen waren, hat infolge des Wandels der Anschauung, der Demo-
kratisierung der Gesinnung diese Bevorzugung des Adligen gegen die Bürgerkanaille
aufgehört; junge und alte Lebemänner entstammen bürgerlichen Kreisen. Geblieben
ist vielleicht nur die Vorliebe für den Offiziersstand; nur wird der schneidige Offizier
nicht mehr ausschließlich als Abgott der jungen Mädchen hingestellt — wie etwa noch
in Kadelburgs „Husarenfieber“ —, sondern in ernsten Konflikt mit der Standesehre und
mit dem bürgerlichen Pflichtgefühl gebracht (Hartlebens „Rosenmontag“", Sudermanns
„Morituri“, Beperleins „Zapfenstreich“, eines der erfolgreichsten, meistnachgeahmten
und auch ins Ausland importierten Stücke unserer Epoche).
1645