16 Das öffentliche Leben. xXII. Buch.
Journalist sein, wie Bismarck ein solcher gewesen ist, oder große Zournalisten an der Hand
haben. Und dafür genügt nicht etwa nur ein offizielles Organ, in dem die Regierung
selbst in jedem Augenblick zu Wort kommen und dem Volk ihre Anschauungen und Ab-
sichten „offiziell“ zur Kenntnis bringen kann, sondern sie wird auch andere Blätter zu
beeinflussen und für ihre Ansicht zu gewinnen, diese in ihnen „offiziös“ zu Gehör zu
bringen suchen; denn wer liest die offiziellen Blätter? und wer bringt gerade ihnen
volles Vertrauen entgegen? Alles das gilt natürlich auch von der inneren Politik. Die
aufreizende Sprache, die tendenziöse Darstellung der Presse macht einen an sich vielleicht
unerheblichen Vorfall erst gefährlich und wirft den Funken ins Pulverfaß oder rückt
ihn, der anfangs bedenklich aussah, ins rechte Licht und läßt ihn das Volk verstehen oder
macht ihn harmloser als er ist und nimmt ihm Giftzahn und Stachel; sie bereitet die Re-
formen vor, indem sie ihre Notwendigkeit begründet und die einzuschlagenden Wege
diskutiert und kritisch auf den gangbarsten hinweist; sie führt sie beim BVolk ein, macht
sie populär, macht das BVolk den neuen Ideen zugänglich und geneigt oder warnt vor
Utopien und Schaumschlägerei, vor Uberschätzung und Täuschung. So ist die Presse
wirklich eine Großmacht, wie Napoleon den Rheinischen Merkur von Görres genannt
hat, und die Leiter großer Blätter haben etwas von kommandierenden Generalen an der
Spitze eines großen Stabs von Mitarbeitern; die Journalisten sind in unserer demokra-
tisch gewordenen Zeit nicht bloß einflußreich, sie sind geradezu Machthaber.
Daher kommt soviel darauf an, wie hoch oder
wie nieder in einem Volk das Niveau
des Journalistenstandes ist. Daß in ihm sich auch minderwertige Gesellen finden,
Schiffbrüchige, die hier ein letztes Unterkommen finden, Menschen von zweifelhafter
Moral und zweifelhafter Bildung, ist nicht zu bestreiten. Aber es setzt sich — und
nicht zum wenigsten auch in den Kreisen und Standesvertretungen der Journaliften
selbst — doch immer mehr die Erkenntnis durch, daß entsprechend ihrer großen Verant-
wortung und ihrer großen Macht die Vertreter dieses Berufes, an großen Zeitungen
wenigstens, sorgfältig ausgewählte, hervorragend kenntniereiche und gebildete, ihrer Ver-
antwortung voll bewußte Männer sein müssen. Eine besondere Journalistenfachschule,
eine eigens auf sie zugeschnittene akademische Laufbahn wird von den Journalisten selbst
abgelehnt und — ganz abgesehen von dem übeln Verlauf eines solchen Versuches in Feidel-
berg — mit Recht abgelehnt: gerade auf der Mischung der verschiedensten akademischen
und nichtakademischen Berufe und Bildungswege beruht die Fülle des Wissens, die
für den Journalisten- und Mitarbeiterstab einer großen Zeitung absolut notwendig
ist; und das Technische lernt sich ohnedies besser in der Praxis als in einem akademischen
Seminar, das dann mindestens auch eine Ubungszeitung zur Hand haben mußte.
ARiveaudes Zournalistenstandes.
Witzblätter. Mit einem Wort sei hier noch besonders der Witzblätter gedacht, die
durch die dem Witz innewohnende Schlagkraft und durch die sich
damit verbindende Anschaulichkeit der Karikatur besonders drastisch und deswegen be-
sonders stark zu wirken pflegen. Man denkt dabei gewöhnlich, aber nicht ganz mit
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