Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
16 Das öffentliche Leben. xXII. Buch. 
Journalist sein, wie Bismarck ein solcher gewesen ist, oder große Zournalisten an der Hand 
haben. Und dafür genügt nicht etwa nur ein offizielles Organ, in dem die Regierung 
selbst in jedem Augenblick zu Wort kommen und dem Volk ihre Anschauungen und Ab- 
sichten „offiziell“ zur Kenntnis bringen kann, sondern sie wird auch andere Blätter zu 
beeinflussen und für ihre Ansicht zu gewinnen, diese in ihnen „offiziös“ zu Gehör zu 
bringen suchen; denn wer liest die offiziellen Blätter? und wer bringt gerade ihnen 
volles Vertrauen entgegen? Alles das gilt natürlich auch von der inneren Politik. Die 
aufreizende Sprache, die tendenziöse Darstellung der Presse macht einen an sich vielleicht 
unerheblichen Vorfall erst gefährlich und wirft den Funken ins Pulverfaß oder rückt 
ihn, der anfangs bedenklich aussah, ins rechte Licht und läßt ihn das Volk verstehen oder 
macht ihn harmloser als er ist und nimmt ihm Giftzahn und Stachel; sie bereitet die Re- 
formen vor, indem sie ihre Notwendigkeit begründet und die einzuschlagenden Wege 
diskutiert und kritisch auf den gangbarsten hinweist; sie führt sie beim BVolk ein, macht 
sie populär, macht das BVolk den neuen Ideen zugänglich und geneigt oder warnt vor 
Utopien und Schaumschlägerei, vor Uberschätzung und Täuschung. So ist die Presse 
wirklich eine Großmacht, wie Napoleon den Rheinischen Merkur von Görres genannt 
hat, und die Leiter großer Blätter haben etwas von kommandierenden Generalen an der 
Spitze eines großen Stabs von Mitarbeitern; die Journalisten sind in unserer demokra- 
tisch gewordenen Zeit nicht bloß einflußreich, sie sind geradezu Machthaber. 
Daher kommt soviel darauf an, wie hoch oder 
wie nieder in einem Volk das Niveau 
des Journalistenstandes ist. Daß in ihm sich auch minderwertige Gesellen finden, 
Schiffbrüchige, die hier ein letztes Unterkommen finden, Menschen von zweifelhafter 
Moral und zweifelhafter Bildung, ist nicht zu bestreiten. Aber es setzt sich — und 
nicht zum wenigsten auch in den Kreisen und Standesvertretungen der Journaliften 
selbst — doch immer mehr die Erkenntnis durch, daß entsprechend ihrer großen Verant- 
wortung und ihrer großen Macht die Vertreter dieses Berufes, an großen Zeitungen 
wenigstens, sorgfältig ausgewählte, hervorragend kenntniereiche und gebildete, ihrer Ver- 
antwortung voll bewußte Männer sein müssen. Eine besondere Journalistenfachschule, 
eine eigens auf sie zugeschnittene akademische Laufbahn wird von den Journalisten selbst 
abgelehnt und — ganz abgesehen von dem übeln Verlauf eines solchen Versuches in Feidel- 
berg — mit Recht abgelehnt: gerade auf der Mischung der verschiedensten akademischen 
und nichtakademischen Berufe und Bildungswege beruht die Fülle des Wissens, die 
für den Journalisten- und Mitarbeiterstab einer großen Zeitung absolut notwendig 
ist; und das Technische lernt sich ohnedies besser in der Praxis als in einem akademischen 
Seminar, das dann mindestens auch eine Ubungszeitung zur Hand haben mußte. 
ARiveaudes Zournalistenstandes. 
Witzblätter. Mit einem Wort sei hier noch besonders der Witzblätter gedacht, die 
durch die dem Witz innewohnende Schlagkraft und durch die sich 
damit verbindende Anschaulichkeit der Karikatur besonders drastisch und deswegen be- 
sonders stark zu wirken pflegen. Man denkt dabei gewöhnlich, aber nicht ganz mit 
  
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