94 Allgemeine Naturwissenschaft; Botanik; Abstammungslehre. X. Buch.
Hinzugefügt sei, daß Kants Lehre von der Entwicklung unseres Sonnensystems später
durch Laplace wertvolle Ergänzungen erfahren hat, ohne daß Laplace Kants Arbeit
gekannt hätte; so daß man meist von einer Kant-Laplaceschen Theorie des Sonnen-
spstems spricht.
Kants Werk ist darum für alle Folgezeit so bedeutsam geworden, weil fortan, auch
in den letzten 25 Jahren, sein Forschungsprinzip für die Naturwissenschaft maßgebend
geblieben ist; weil die Probleme der leblosen Natur sich diesem Forschungsprinzip durch-
weg zugänglich erwiesen haben, während die Schranken desselben, auf die Kant bei seiner
Anwendung auf die Organiemen stieß, sich bis in die Gegenwart hinein im wesentlichen
unüberwindlich zeigen. —
Kants und Laplaces Vorstellungen von der Entwicklung des Weltgebäudes haben
sich durch das ganze neunzehnte Jahrhundert hindurch behauptet; in unserm Jahrhundert
dagegen hat Sovante Arrhenius versucht, andere Hypothesen an ihre Stelle zu setzen.
Arrhenius ist Schwede; allein sein Buch „Das Werden der Welten“ wurde 1907 durch
eine gute Ubersetzung der deutschen Literatur einverleibt, und seine Gedanken sind seit-
dem viel in Deutschland erörtert worden. Um die Darlegung der in der Naturwissenschaft
des letzten Vierteljahrhunderts bedeutsam gewordenen Gedanken wird es sich in diesem
Abschnitte zumeist handeln müssen; wollten wir uns dabei auf deutschnationale Autoren
beschränken, so dürften wir z. B. auch Darwins nicht gedenken, dessen Lehren gerade auf
deutschem Boden Gegenstand lebhaften Kampfes geworden sind. Die Naturwissenschaft
erfreut sich wie keine andere internationaler Freizügigkeit; und wenn die Harstellung
versucht werden soll, welchen Anteil Deutschland an der Erörterung ihrer Prinzipien
in den letzten 25 Zahren genommen hat, so wird einmal der Zustand der Naturwissen-
schaftin der vorausgegangenen Zeit nicht unberücksichtigt bleiben dürfen, andrerseits spinnen
sich unausgesetzt die Gedankenfäden zwischen deutschen Forschern und denen des Aus-
landes hin und her, so daß diese nicht an der geographischen Grenze unseres Landes durch-
rissen werden können, ohne das zu zeichnende Bild gröblich zu verstümmeln; wobei es
sich von selbst versteht, daß nur solche Entdeckungen und Zdeen der in Nede kommenden
Zeitepoche Berücksichtigung finden werden, die gerade in der deutschen Literatur zu
Bedeutung gelangt sind, mag ihr Ursprung gewesen sein, welcher er will.
Ooch zurück zur Kosmogonie des Arrhenius. Während Kant diepro-
gressive Entwicklung der Welt aus einem gleichförmigen An-
fangszustande vorzustellen suchte, Hhält Arrhenius dies für ein unlösbares
Problem und sagt im Gegensatz dazu: „Das leitende Motiv bei meiner Bearbeitung
der kosmogonischen Fragen war die Ansicht, daß das Weltganze seinem Wesen nach
stets so war, wie es jetzt noch ist. Materie, Energie und Leben haben nur Form
und Platz im Raume gewechselt.“ Oamit ist die Idee einer ersten Entstehung des
Lebens und einer fortschreitenden Entwicklung der Himmelskörper abgelehnt; von
Ewigkeit her soll es Sternensysteme gegeben haben, wie wir sie kennen, und von
Ewigkeit her erfüllten lebendige Wesen den Weltraum. Arrhenius hält den Traum von
einer Selbstzeugung des Lebens an der Oberfläche erkalteter Planeten für so unzutreffend
Arrhenius.
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