Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
156 Die Chemie. X. Buch. 
  
sehr kurzlebige Elemente anzusehen hat. Auf der ganzen Erdoberfläche verbreitet, rührt 
von ihnen der Heliumgehalt der Luft und mancher Mineralquellgase her, wie denn auch 
der Nachweis von Helium in der Atmosphäre der Sonne auf den Radiumgehalt dieses 
Gestirns schließen läßt. In dem Spektrum einiger Sterne hat man ebenfalls Radium 
nachgewiesen. Radiumstrahlen üben die mächtigsten chemischen Wirkungen aus, sie zer- 
legen Wasser, wobei auch Wasserstoffsuperoxpd gebildet wird, sie ozonisieren Sauerstoff, 
sie färben Glas und Porzellan blau oder braun usw. Ihre zerstörende Wirkung auf le- 
bende Gewebe benutzt neuerdings die Heilkunde zur Bekämpfung krebaartiger Geschwüre. 
Oie Heilwirkung vieler Mineral- und Thermalquellen wird mit auf ihren Gehalt an radio- 
aktiven Substanzen zurückgeführt. 
Ourch die Auffindung der Edelgase wurde die Chemie mit chemischen Elementen 
beschenkt, die sich anscheinend mit anderen Elementen nicht zu verbinden vermögen und 
daher für die Reaktionschemie noch ohne Bedeutung sind. Das gleiche gilt vorläufig von 
den radioaktiven Elementen, von denen zurzeit nur einige anorganische Radiumsalze 
bekannt sind. 
Verflüssigung der elementaren Gase. Schon bei der Besprechung der Ent- 
deckung und der Trennung der Edel- 
gase war von der flüssigen Luft und dem flüssigen Wasserstoff die Rede. Nach den A#r 
beiten von Raoul Pictet in Genf und. Cailletet in Paris beschäftigten sich Lames 
Dewar in London, Wroblewski und Olszewski in Krakau mit der Gasverflüssigung. 
Olszewski gelang es 1883 zuerst, den Wasserstoff deutlich zu verflüssigen. Zur Herstellung 
größerer Mengen flüssiger Luft brauchbare, so genannte Gegenstromapparate erfanden 
1895 Linde in München und Hampson in London. Norris Travers, damals Assistent 
von Ramsay, baute 1900 nach dem Vorbild des Hampsonschen Luftverflüssigers einen 
brauchbaren Wasserstoffverflüssiger. Beim fraktionierten Verdunsten größerer Mengen 
flüssiger Luft konnten Ramsay und Travers neben Argon Neon, Krypton und Xenon 
auffinden. Die Trennung von Helium und Neon gelang durch Abkühlung mit flüssigem 
Wasserstoff. Denn bei — 252,5°“ wird Neon fest. Die größten Schwierigkeiten bot die 
Verflüssigung von Helium, die erst Kamerlingh Onnes in Leiden 1910 überwand. 
Es siedet unter Atmosphärendruck bei — 269°. Durch Verdampfung von flüssigem He- 
lium bei 0,15 mm Quecksilberdruck wurde die Temperatur auf — 271,85° oder + 1,157 
absoluter Temperatur erniedrigt und so die tiefste, bis jetzt erreichte Temperatur hervor- 
gebracht. Mit Hilfe flüssiger Luft und flüssigen Wasserstoffs lassen sich die Gase Fluor, 
Kohlenoryd, Stickorpd, Methan usw. unschwer in den flüssigen und festen Aggregat- 
zustand überführen. Ourch fraktionierte Verdunstung verflüssigter Luft kann man 
Sauerstoff und Stickstoff voneinander getrennt im Großen zu technischer Verwendung 
gewinnen. 
Wasserstoff. Am beftigsten von allen Elementen wirkt Wasserstoff auf das 1886 
von Moissan isolierte Fluor ein. Wie Moissan 1903 gemeinsam mit 
Dewar zeigte, verbinden sich flüssiger Wasserstoff und festes Fluor unter Explosion zu 
Fluorwasserstoff. Von der Wirkung des Wasserstoffes auf Stickstoff und auf Metalle wird 
später die Rede sein. 
  
  
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