X. Buch. Allgemeine Naturwissenschaft; Botanik; Abstammungslehre. 97
riegel bewiesene Verwertung des Luftstickstoffs zur Bildung von Eiweiß; die 1887 von
Hüppe entdeckte Assimilation von Kohlensäure in farblosen Bakterienzellen ohne Mit-
wirkung des Lichts; die Möglichkeit, das Leben der Zellen mit ganz verschiedenartigen
Mitteln zu unterhalten, bald aerob, bald anaerob, welche Feststellung auf Pasteur zurück-
geht. So steht der morphologischen Gleichförmigkeit der Bakterien eine Mannigfaltig-
keit im phpsiologischen Verhalten gegenüber, die nur in der Vielgestaltigkeit der
höheren Tiere und Pflanzen ihr Seitenstück findet; dazu kommt die ungeheuer
Bedeutung der Bakterien für die Krankheitsvorgänge im tierischen bzw. menschlichen
Körper.
Die Entdeckung der feineren Struktur des Zellkerns, den
man kurz zuvor noch für ein strukturloses Eiweißklümpchen
bielt, besonders aber die Wandlungen seiner Konfiguration während der Teilung,
haben zahlreiche Zoologen und Botaniker beschäftigt und sie immerfort zu neuen
Entdeckungen geführt. Als ein besonders wichtiges Ergebnis aller dieser A#rbeiten
dürfte dies anzusehen sein, daß Beschaffenheit und Verhalten der Zellkerne durch
das gesamte Tier- und Pflanzenreich hindurch im wesentlichen die gleichen sind,
mit einer schier endlosen Mannigfaltigkeit im einzelnen; während dagegen die Zelle
der Bakterien mit Sicherheit keinen deutlichen Kern erkennen läßt. Daneben ergab sich
in bezug auf das Protoplasma der Tiere und Pflanzen, in welchem ein Gemenge sehr
verschiedenartiger chemischer Verbindungen festgestellt werden konnte, eine gleiche Uber-
einstimmung. Es war damit die Zdentität der Tier- und Pflanzenzelle erwiesen, so daß
Mikroskop und chemische Reagenzien uns keine wesentlichen Unterschiede zwischen der
Sehirnzelle eines Menschen und der Eizelle eines Mooses wahrnehmen lassen.
Unter den Ergebnissen der botanischen Forschungen in den letzten 25 Jahren sind
dann besonders hervorzuheben wichtige Fortschritte in der Kenntnis der osmotischen
Eigenschaften der Pflanzenzelle und auf dem Gebiete der Reizphysiologie, und unter
den zahlreichen hier tätigen Forschern ist der Name Wilhelm Pfeffers in erster Linie
zu nennen. —
Der auf der Verschmelzung eines männlichen mit einem weiblichen Zellkern beruhende
Vorgang der Befruchtung, mit dem die Berschmelzung des Protoplasma der beiden
Geschlechtszellen Hand in Hand gehen kann, wurde der Ausgangspunkt weiterer wichtiger
Arbeiten, die zu zahllosen mehr oder weniger bedeutsamen Einzelkenntnissen geführt
haben. Zu ihnen gehört die Tatsache, daß die Anzahl der Chromosomen, d. h. der in
einem Zellkern vorhandenen leicht Farbstoffe aufspeichernden Fadenstücke, für sämtliche
Zellen nicht nur eines Individuums, sondern auch aller zu einer Art gehörenden Indi-
viduen eine konstante ist; damit aber diese Zahl im Befruchtungeprozeß sich nicht ver-
bopple, muß in einer den Geschlechtszellen vorausgegangenen Zellengeneration eine
Reduktionsteilung der Kerne eintreten, wodurch die Anzahl der Chromosomen im Kern
auf die Hälfte der topischen Chromosomenzahl herabgesetzt wird, so daß die Kerne der
sich vereinigenden Geschlechtszellen eigentlich nur Halbkerne sind, die sich erst in der be-
fruchteten Eizelle wieder zu einem Vollkern ergänzen.
Zelle und Zellkern.
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