Full text: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft. Neunter Band. Jahrgang 1853. (9)

über Armenpflege und Heimathsrecht. 11 
samen Wohl herzustellen, hat in seiner weiteren Entwickelung 
ungemessene Ansprüche des Einzelnen an den Staat her- 
vorgerufen. 
In der entwickelteren Gesellschaft wird die Erhaltung seiner 
Existenz und die Befriedigung der durch die Civilisalion gestei- 
gerten Bedürfnisse durch Anstrengung der eigenen Kräfte einem 
Jeden allerdings erst möglich, wenn er selbst bereits zu einer 
höheren Stufe der Bildung emporgehoben ist. Es gehört dazu 
Ausstattung mit Kenntnissen und Fertigkeiten, Unterstützung durch 
Werkzeuge und Vorräthe, Vorbereitung durch frühere Thätigkeit, 
umsichtige Erwägung künftiger Ereignisse u. dgl. Die Erfüllung 
aller dieser Voraussetzungen wird durch die eingeräumte Freiheit 
an und für sich und allein keinesweges gewährleistet. Dagegen 
scheint mit dem Anspruch auf Freiheit zugleich das Recht 
eines Jeden zu leben und sich seinem Berufe gemäss aus- 
zubilden, anerkannt zu sein. So entsteht die Vorstellung, dass 
die Gesellschaft, welche durch ihre Entwickelung es dem Ein- 
zelnen unleugbar erschwert und selbst unmöglich macht, ohne 
vorausgehende Unterstülzung eine selbstständige Stellung 
einzunehmen und zu behaupten, verpflichtet sei jedes ihrer Mit- 
glieder mit den Hilfsmitteln auszustatten, welche demselben die 
Erfüllung seines menschlichen Berufes allein möglich machen. 
Die Ansprüche werden nach und nach alle auf den Staat 
geworfen, da die niederen Organe des gesellschaftlichen Lebens 
theils ganz zerstört, theils bis zur Ohnmacht abgeschwächt 
worden sind, die Vorstellung aber von der Einheit und soli- 
darischen Verantworllichkeit des ganzen menschlichen Ge- 
schlechtes, insbesondere der Christenheit fast gänzlich ver- 
dunkelt oder doch ihrer praclischen Bedeutung beraubt wor- 
den ist. 
Jene Ansprüche bedeuten schliesslich soviel, dass das heran- 
preussischen Staat wird bei der Zahl, dem Gewicht, der Verschiedenartigkeit 
und Uebereinstimmung der dafür beigebrachten Zeugnisse wohl nur von denen 
in Abrede gestellt werden können, welche „Auge und Ohr absichtlich gegen 
offenkundige Thatsachen verschliessen“, wenn auch über die Ausdehnung 
und Ursachen dieser traurigen Erscheinung Meinungsverschiedenheiten ob- 
walten mögen.
	        
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