in Böhmen. 273
schwankenden allgemeinen politischen Zuständen, in der Desorganisation der
Geldverhältnisse in Folge der Ueberhäufung der Cirkulation mit Papiergeld
und der dadurch bewirkten Entwerthung des letzteren, ferner in der künst-
lichen Vertheuerung der Waaren und Störung der auswärtigen Handelsbe-
ziehungen als weiteren Folge davon, endlich in der langen Schwebe, in
der sich die Gewinnung einer neuen. kommerziellen Stellung Oesterreichs ge-
genüber von Deutschland befand und die erst kürzlich durch den Berliner
Februarvertrag ihr Ende erreieht hat, gesucht werden muss. Allem diesem
ist noch beizufügen, dass von der grossen sozial-ökonomischen Reform der
Grundentlastung, die in Oesterreich soeben erst durchgeführt wurde und theil-
weise .noch in der Durchführung begriffen ist, sich wegen Kürze der Zeit
die Wirkungen noch nicht übersehen lassen und dass der neue österreichi-
sche Zolltarif gerade um die Zeit, wo die Enquöte im Reichenberger Kam-
merbezirke begonnen wurde, in Wirksamkeit trat. Demgemäss kann man
nicht umhin, den Zeitpunkt der Enquete verfrüht zu nennen. Durch
das angeregte Bedenken will keineswegs den dargebotenen statistischen
Daten ihr Werth benommen werden; es geht daraus nur die dringende
Aufforderung hervor, in einer späteren günstigeren Zeil die Enquäte
za wiederholen und das Ergebniss der ersten Arbeit einer Revision zu un-
terziehen.
Die zweite vorzubringende Bemerkung gilt der Art der Erhebung der
Lohnsätze. , Laut des Berichtes wandte sich die Kammer theils an die Ge-
meindevorstände theils unmittelbar an die Gewerbetreibenden d. i. an die
Unternehmer. Es mag misslich und sehr zeitraubend sein, nebstbei auch die
Arbeiter zu vernehmen, aber gewiss ist es, dass.die erhobenen Daten, wenn sol-
ches geschieht, sehr an Verlässlichkeit gewinnen. Wir erinnern an die neuestens
von Cochut !) gelieferten Nachweisungen hinsichtlich der Verhältnisse des
Arbeitslohnes in Paris 2), bei deren Erhebung durch die dortige Handels-
kammer auch die Arbeiter übergangen und nur die Unternehmer gefragt
wurden. Wenn nun auch keinesfalls zu erwarten ist, dass so grosse Diffe-
renzen "zwischen den solchergestalt erhobenen und den wirklichen Arbeits-
löhnen, wie sie Cochut für Paris aufzeigt, im Bezirke der Reichenberger
Handelskammer vorkommen, da hier nicht jene starken Motive hervortreten,
welche die Pariser Unternehmer zu unrichligen und zwar höheren Angaben
bestimmten: so würde doch bei dem entgegengesetzten Verfahren schon
von vorneherein jedem Zweifel an der Richtigkeit der ermittelten Daten die
Spitze abgebrochen werden. Schliesslich ist zur genaueren Werthschätzung
des dargelegten statistischen Materials noch auf Eines aufınerksam zu machen.
Bei einer nicht geringen Anzahl von Industriezweigen liegen zu wenige An-
gaben über Lohnsätze — bei manchen gar nur eine einzige — vor, um
4) Vergl. in Bran’s Minerva, Januar- und Februarheft 1853, den Aufsatz: „‚das
industrielle Paris.“
2) Statistique de Pindusirie ä Paris, resultant de l’enquäte faite par la chambre de
commerce pour les anndes 41847 et 1848. \
Zeitschr. für Staatsw. 1853. 2s Heft. 18